Arbeitnehmermarkt

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Foto: Eric Kökeritz

Fünf Fragen an Expertin Anastasia Barner 

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um den Arbeitnehmermarkt!  Führungskräfte Deutschlands führender Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie in der aktuellen Marktsituationen Bewerber:innen begeistern und gewinnen wollen.

Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.

In diesem Interview spricht mit uns Anastasia Barner, Speakerin, Autorin und Gründerin von FeMentor, der ersten Reverse Mentoring Plattform in Europa, über die Bedürfnisse der Gen Z: was wünscht sich ihre Generation vom Arbeitgeber und welche Chancen sieht sie in einem Arbeitnehmermarkt?

Das ist Anastasia Barner

Anastasia Barner, Jahrgang 1998, gründete im Alter von 20 Jahren die erste Reverse-Mentorinnen-Plattform „FeMentor“: von Frauen für Frauen, um Frauen in Unternehmen zu platzieren und Führungsebenen branchenübergreifend weiblicher zu gestalten. 

2020 war Anastasia Barner das internationale Gesicht der Deutschen Welle auf TikTok. Sie arbeitet nebenbei als freie Journalistin u.a. für die Funke-Mediengruppe und Berliner Zeitung. Ihr Buch „(Ge)Gründet! Start-up-Szene uncovered“ erschien 2023 im Haufe Verlag.
 

Frau Barner, welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel Ihrer Meinung nach auf betroffene Unternehmen in den Bereichen Produktivität, Qualität und Innovationsfähigkeit schon heute?

Der Fachkräftemangel hat gerade erst begonnen und wird sich immer mehr zu einem Problem entwickeln, was vielen Unternehmen so derzeit noch nicht bewusst ist. Die älteren Fachkräfte gehen in Rente, das Wissen geht verloren und meine Generation ist laut Alterspyramide eine recht kleine, weshalb sich Unternehmen langfristig bei den Arbeitnehmern bewerben müssen und nicht länger die Arbeitnehmer bei den Unternehmen. Die Auswirkungen sind folgende: Unternehmen werden sich aktiv damit beschäftigen müssen, wie sie Personal gewinnen. Das heißt: ein großer Fokus wird weg vom Produkt und Dienstleitungen hin zur Frage wandern „Wie finden wir überhaupt Angestellte?“

In den USA entscheiden sich bereits viele Unternehmen dafür, auf die Anforderung eines Bachelorstudiums bei der Jobausschreibung zu verzichten. Auch in Deutschland müssen sich Unternehmen langfristig fragen, ob ein Studium als Qualifikation wirklich immer notwendig ist. Zudem ist meine Generation, Gen Z, sehr wählerisch bei der Wahl des bzw. der Arbeitgeber:in: das Unternehmen soll ethisch vertretbar sein, Diversität fördern, Lernkurven bieten und genügend Gehalt zahlen. 

Die Ressourcen, die künftig in das aktive Werben um Mitarbeiter:innen gesteckt werden müssen, werden an anderer Stelle fehlen. Dies kann dazu führen, dass weniger in Innovationen investiert werden kann.
 

Welche langfristigen Probleme ergeben sich für Unternehmen aus einem Arbeitnehmermarkt?

Wenn die Arbeitnehmer:innen über mehr Auswahlmöglichkeiten verfügen und die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften höher ist als das Angebot, kann das langfristig einige Herausforderungen für Unternehmen mit sich bringen: Die Kosten werden steigen, um sehr gute Fachkräfte anzuwerben und zu halten, die sich ihren Arbeitgeber künftig aussuchen können. Dadurch muss die im Unternehmen verantwortliche Person aber auch mehr arbeiten, was eine Burn-out-Gefahr darstellt und somit wieder Verluste für das Unternehmen bedeuten kann. Firmen haben derzeit schon das Problem einer hohen Fluktuation und fehlender Mitarbeiterloyalität. Vorbei sind die Jahre, in denen Mitarbeitende sich einem Unternehmen ein Leben lang verschrieben haben. Somit müssen aktiv effektive Prozesse eingeführt werden, um Mitarbeitende schnell einzuarbeiten und in die Abläufe des jeweiligen Betriebs einzuweisen. Und das sind nur die wichtigsten Punkte einer langen Liste an Problemen, die in Zukunft viele Unternehmen beschäftigen werden.  
 

Gibt es für Unternehmen auch Chancen? Und wenn ja, welche?

Unternehmen legen mehr wert auf Employer Branding, New Work, Corporate Influencers, Diversität in unterschiedlichen Positionen und generell habe ich das Gefühl, dass interne Strukturen und die Unternehmensstruktur mehr gefördert werden. Dadurch werden Unternehmen nicht nur interessant für potentielle Arbeitnehmende, sondern auch bereits Angestellte. Diese haben eine positive Erfahrung innerhalb der Firma, was zu mehr Loyalität führen kann. Da ist ein großes Stichwort Reverse Mentoring. Mit meinem Start-Up FeMentor sind wir seit 2019 in genau dieser Sparte unterwegs und die erste Reverse-Mentoring-Plattform in Europa. Wir arbeiten bereits mit Unternehmen daran, durch einen Generationenaustausch mehr Wissen intern weiterzugeben und aber auch erfahrenere Generationen mit neuen digitalen Lösungen abzuholen und auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Zudem gibt es immer mehr kreative Arten des Recruitments, wie z.B. Reverse-Recruiting, wobei sich ein Unternehmen aktiv auf eine Person bewirbt.

Gibt es Unternehmen oder Branchen, die besser positioniert sind, um mit dem Fachkräftemangel umzugehen?

Um mich jetzt auf die Generation Z zu beziehen, zu der ich ja gehöre: ein großer Teil möchte ein Start-Up gründen oder selbstständig sein, ein weiterer Großteil möchte Influencer:in werden. Bleiben am Ende also gar nicht so viele übrig, die noch von einem Angestelltenverhältnis träumen. Das heißt, dass alle Unternehmen und Branchen von dem Problem eines Fachkräftemangels betroffen sind. Große Konzerne mit attraktiven Mitarbeiter:innen-Angeboten werden aber in der Masse hervorstechen und als bevorzugte Anlaufstelle gesehen. Ich bin mir aber sicher, dass es in ein paar Jahren auch einige Berufe nicht mehr so geben wird. ChatGPT, und KI-Tools, allgemein entwickeln sich unglaublich schnell und werden gewisse Berufe obsolet machen. Gleichzeitig werden dadurch aber auch neue Berufe geschaffen, das darf dabei nicht vergessen werden.
 

Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind für Geschäftsführer:innen und Führungskräfte in der aktuellen Marktsituation besonders erforderlich, um Bewerber:innen für sich einzunehmen? 

Meiner Meinung nach hervorragende Softskills und Begegnung auf Augenhöhe, also Respekt dem oder der Unterstelltem gegenüber. Um beim Thema Automatisierung zu bleiben: ich habe direkt auch mal Chat GPT gefragt, welche Kompetenzen notwendig sind und mir wurden folgende Schlagworte genannt: strategisches Denken, Innovationsfähigkeit, Kommunikationskompetenz, Kundenorientierung, digitale Kompetenz, Netzwerken und Flexibilität. Das zeigt es eins auf: eine gute Führungskraft muss heutzutage nach der aggregierten Meinung des Internets das Gleiche mitbringen, was auch eine gute Führungskraft vor 20 Jahren mitgebringen hätte müssen. Wir sind eben nach wie vor Menschen, die sich einen respektvollen Umgang wünschen und natürlich gibt es manche Wünsche die heutzutage wichtiger sind oder zusätzliche Fähigkeiten wie z.B. digitales Wissen, aber im Großen und Ganzen muss eine gute Führungskraft ein Interesse an den Mitarbeitenden haben und gleichzeitig nicht aus dem Augen verlieren, dass ein Unternehmen nur dann überlebt, wenn die Mitarbeitende genauso glücklich und zufrieden wie die zahlenden Kund:innen sind. 
 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten. Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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