Arbeitnehmermarkt

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Foto: Schmidt+Clemens

Im Gespräch mit Sonja Fischer, Global Head of HR bei Schmidt+Clemens

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um den Arbeitnehmermarkt!  Führungskräfte Deutschlands führender Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie in der aktuellen Marktsituationen Bewerber:innen begeistern und gewinnen wollen.

Auch an Familienunternehmen geht der Fachkräftemangel nicht vorbei. Umso wichtiger ist ein gutes Konzept, um für Bewerber:innen interessant zu bleiben.

In diesem Interview spricht Sonja Fischer mit uns über mangelnde Erfahrungswerte mit der Gen Z im Recruiting  und weshalb Regionalität für Familienunternehmen auch in Zeiten der Globalisierung so wichtig ist.

Frau Fischer, wie macht sich der Fachkräftemangel bei Schmidt+Clemens heute schon bemerkbar?

Bei der ein oder anderen Stelle dauert es durchaus mal länger bis wir sie besetzen können. Insbesondere die Rekrutierungszeiten sind angestiegen, jedoch nicht in allen Bereichen. In manchen Bereichen geht es tatsächlich immer noch so zügig wie vor einiger Zeit. Und insgesamt sehe ich die Situation positiv: wir haben bislang immer einen passenden Kandidaten oder eine passende Kandidatin finden können, wenn wir eine Ausschreibung hatten. Das habe ich in anderen Unternehmen durchaus schon anders erlebt. Dort sind Stellen dann eben dauerhaft vakant geblieben.
 

Gibt es Bereiche, die bei Ihnen besonders betroffen sind?

Spezialisten waren auch früher nicht immer leicht zu finden. Heute ist es noch ein weniger schwieriger geworden. Letztens haben wir sehr lange suchen müssen, um einen passenden Gießereiingenieur zu finden. Aber es sind nicht ausschließlich diese hochspezialisierten akademischen Positionen, sondern auch vermeintlich normale Stellen wie beispielsweise Schweißer. Gießereimechaniker sind aktuell kaum zu bekommen, ebenso CNC-Programmierer. Ich würde sagen, dass wir länger suchen müssen, hat auch damit zu tun, dass wir selbst mit 1200 Mitarbeitern weltweit ein etwas kleinerer Mittelständler sind, mit einem Hauptstandort in einer kleineren, recht ländlichen Gegend. Und wir sind ausschließlich im B2B-Geschäft unterwegs, wodurch der überregionale Bekanntheitsgrad bei uns gering ist, wenngleich wir hier in der Region absolut ein großer Name sind.

Und was eben dazukommt: gewerblich Beschäftigte sind bereit nach einer kurzen Zeit das Unternehmen wieder zu verlassen, wenn sie mit den Rahmenbedingungen unzufrieden waren. Beispielsweise in der Produktion, wo die körperliche Belastung hoch ist. Positiv für uns jedoch: viele Unternehmen aus dem Umkreis haben zuletzt vermehrt wieder Kurzarbeit angemeldet, die es bei uns nicht gibt, denn uns geht es wirtschaftlich gut. Das sind natürlich für Arbeitnehmer attraktive, stabile Arbeitsverhältnisse. Im Moment ist der Arbeitsmarkt recht volatil: was heute stimmt, muss morgen nicht mehr richtig sein.
 

Welche Auswirkungen hat diese Volatilität auf Produktivität, Qualität und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens? 

Auch wenn sich der Fachkräftemangel noch nicht allzu stark bei uns bemerkbar macht: Wir gehen davon aus, dass sich das langfristig ändern wird. Unser größtes Problem: die Babyboomer-Generation wird bald den Arbeitsmarkt verlassen. Wir haben im Unternehmen ein recht hohes Durchschnittsalter und werden in den nächsten zehn Jahren fast 15 % unserer Belegschaft verlieren. Und insgesamt reduziert sich ja auch das Arbeitskräftevolumen auf dem Markt.

Auch wenn wir also aktuell den Fachkräftemangel noch nicht eklatant spüren, müssen wir daran arbeiten, Maßnahmen zu identifizieren, um das Unternehmen dort zu automatisieren, wo es sinnvoll ist. Wir müssen verstärkt Digitalisierung ausbauen, um den bestehenden Personalstand anderweitig einsetzen zu können, natürlich mit begleitender Qualifizierung unserer Mitarbeiter. 
 

Bietet denn Ihrer Meinung nach der Arbeitnehmermarkt auch Chancen für Unternehmen?

Diese Stelle bei Schmidt+Clemens ist das zweite Mal, dass ich für ein Familienunternehmen tätig bin. Die Erfahrungen, die ich in den jeweiligen Unternehmen gemacht habe, unterscheiden sich aber deutlich. In der Regel spricht man Familienunternehmen oft eine höhere Verantwortungsbereitschaft zu, sagt, dass sie nah dran an den Belangen ihrer Belegschaft sind. Und dass dem Unternehmen strategisch eine sehr langfristige Orientierung zugrundliegt. Zumindest für Schmidt+Clemens lassen sich diese Dinge so bestätigen, sogar die etwas platte Aussage „Familienunternehmen denken nicht in Quartalen, sondern in Generationen“. Und ich würde sagen, uns gelingt es gut, diese Werte nach außen zu transportieren.

Wir haben hier kurze Entscheidungswege, auch das ist auch nicht unbedingt überall üblich. Ich muss hier nicht über Wochen oder Monate auf eine Antwort warten, während ich selbst schon gerne engagiert meine Arbeit voranbringen möchte. Und was ich auch erlebt habe: unsere Geschäftsführung und unsere Führungskräfte sind schon sehr nah dran an der Belegschaft. Wenn man sich wirklich angenommen und angekommen fühlen kann, ist auch die Identifikation mit dem Arbeitgeber hoch. Und das wiederum hilft uns auch in einer schwierigen Arbeitsmarktsituation im Bewerbermarketing.
 

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Sibylle Stippler

Leiterin des Clusters Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln)

Welche langfristigen Probleme ergeben sich für Unternehmen aus einem Arbeitnehmermarkt?

„Vor dem Hintergrund von vier disruptiven Trends – Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und De-Globalisierung – ist zu erwarten, dass sich der Fachkräftemangel weiter zuspitzen wird. Die demografischen Veränderungen werden in den kommenden Jahren ihre volle Wirkung entfalten: Das Ausscheiden der geburtenstarken Baby-Boomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt wird die bestehenden Fachkräfteengpässe verschärfen und voraussichtlich zu neuen Engpässen führen.

Gleichzeitig erfordert die digitale Transformation spezialisierte Fachkräfte, was zu einer erhöhten Nachfrage in allen Branchen nach IT-Kompetenz geführt hat. Der Wettbewerb um diese Fachkräfte hat stark zugenommen. Die Entwicklungen in Richtung Dekarbonisierung und De-Globalisierung erhöhen ebenfalls den Bedarf an Fachkräften in bestimmten Berufsbereichen. Diese Trends verstärken den Wettbewerbsdruck zwischen Unternehmen um gut ausgebildete Fachkräfte.

Personalengpässe haben auch negative Auswirkungen auf die verbleibenden Mitarbeitenden. Sie müssen oft zusätzliche Arbeitslasten bewältigen, was zu Überstunden und einer verringerten Arbeitszufriedenheit führen kann. Laut einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA Kompakt 10/2023) suchen bereits ein Drittel der betroffenen Beschäftigten regelmäßig nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund dieser Belastungen.“
 

Das Headquarter von Schmidt+Clemens liegt in Lindlar.

Foto: Schmidt+Clemens 

Gerade die Werte der Gen Z ändern sich aktuell jedoch massiv: sind diese klassischen Werte der Familienunternehmen wirklich etwas, dass junge Menschen heute in ihrem Arbeitgeber noch suchen?

Viel Kontakt zur Generation Z haben wir noch nicht gehabt. Das wird sich noch geben. Was wir wohl sagen können: ganz egal, ob ich mit älteren oder jüngeren Bewerbern spreche, es gibt so ein paar Aspekte, die werden tatsächlich von allen Seiten immer sehr positiv wahrgenommen. Besonders unsere Benefits, die vielleicht auch nicht jedes Unternehmen anbietet.

Aber was wir auf jeden Fall feststellen: die Forderung nach persönlicher Identifikation mit der Arbeitsaufgabe und nach sinnstiftenden Aufgaben wächst! In Bewerbungsgesprächen hören wir häufiger: „Warum soll ich das denn machen? Und was ist überhaupt das Ziel?“

Intensiv gefragt wird auch nach Work-Life-Balance, nach mehr Flexibilität, vor allem örtlich. Mobiles Arbeiten haben wir bereits auf den Weg gebracht. Das fordert von Führungskräften ein anderes Herangehen. Führen auf Distanz unterscheidet sich von der bisherigen Aufgabe stark. Daran müssen wir die Führungskräfte begleitend heranführen.
 

Da haben Sie jetzt meine nächste Frage schon ein bisschen vorweggenommen: Welche Kompetenzen und Fähigkeiten müssen denn die Führungskräfte künftig explizit mitbringen?

Es muss sehr viel stärker kooperativ und delegativ geführt werden, mit großem Schwerpunkt auf Vertrauen. Da haben wir insofern einen Wettbewerbsvorteil: wir haben sehr viele langjährig Beschäftigte, sowohl in der Führungsebene als auch in der Belegschaft. Dadurch kennt man sich und hat ein gutes Vertrauensverhältnis. Denn selbstverständlich führt es zu Unsicherheit bei Führungskräften, wenn plötzlich ein, zwei Tage in der Woche die Mitarbeiter im Home Office sind und man eben nicht mehr räumlich eng zusammenarbeitet.

Das ist natürlich ohnehin eine größtenteils unberechtigte Sorge: Aus meiner Erfahrung heraus, kann ich sagen, dass unsere Mitarbeiter auch in der mobilen Arbeit ganz konzentriert und konsequent ihre Leistung bringen. Es ist an den Führungskräften diese Unsicherheit abzulegen. Hierbei unterstützen sich die Führungskräfte aber auch untereinander.
 

< >Tanja_Herrmann-Hurtzig

Tanja Herrmann-Hurtzig

Business Coach & Trainerin

Foto: Kerstin Wilkens

Welche langfristigen Probleme ergeben sich für Unternehmen aus einem Arbeitnehmermarkt? 

„Auf einem Arbeitnehmermarkt steigen in der Regel die Löhne, da die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften das Angebot übersteigt. Unternehmen müssen daher mehr für Gehälter und Benefits aufwenden, um Talente anzuziehen und zu halten. 
Wichtig ist dabei, nicht die vorhandenen Mitarbeiter aus den Augen zu verlieren! Sonst verlassen diese Mitarbeiter auch noch das Unternehmen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen.

Wenn es nicht gelingt, Positionen nachzubesetzen, können Projekte nicht termingerecht durchgeführt oder müssen sogar ganz gestoppt werden. Dies behindert die Fähigkeit eines Unternehmens, zu wachsen und auf Marktanforderungen schnell zu reagieren.

Bestehende Mitarbeiter können durch die höhere Arbeitslast und den Druck, Vakanzen zu kompensieren, überfordert werden, was zu Burnout und einer höheren Fluktuation führt.  Gerade in Familienunternehmen wird das häufig unterschätzt.

Unternehmen, die als unattraktiv für Arbeitskräfte gelten oder nicht in der Lage sind, eine positive Arbeitgebermarke zu etablieren, könnten langfristig in einem negativen Licht gesehen werden, was es noch schwieriger macht, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Hier ist es umso wichtiger Employer Branding von innen heraus zu gestalten.“
 

Welche Strategien sind erforderlich, dass Schmidt+Clemens weiterhin erfolgreich bleibt?

Wir haben letztes Jahr eine neue Employer Branding Kampagne gelauncht, wo wir uns in Kooperation mit dem örtlichen Sportverein, dem VfL Gummersbach, nochmal stark lokal und regional positioniert haben. Die Kampagne richtet sich vor allem an die Leute hier aus der Gegend, die mit ihrem Umfeld stark verwachsen sind. Darüber hinaus arbeiten wir aktiv daran eine neue Fehlerkultur im Unternehmen zu etablieren. Nur wenn die Menschen ein gutes Gefühl dabei haben, wenn auch mal was schief geht, fühlen sie sich wohl. Es ist uns wichtig, dass jeder weiß, dass man sich melden kann, wenn mal etwas nicht richtig läuft. Wir arbeiten hier auch an unserer internen Kommunikation. 

Und was wir auch in diesem Jahr nochmal aktiv machen möchten: uns sehr viel stärker um die Weiterqualifizierung und Unterstützung der Führungskräfte zu kümmern. Es ist wichtig, sie für die neuen Bedürfnisse der Beschäftigten zu sensibilisieren. Und daneben gibt es noch eine ganze Latte weiterer Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Wir haben gerade ein Talentprogramm abgeschlossen und überlegen uns, wie wir damit weitermachen wollen. Auch hier fangen wir früh an, Mitarbeiter in ihrer persönlichen und fachlichen Entwicklung zu unterstützen. 

Wie schon erwähnt wird die Reduktion sowieso altersmäßig früher oder später kommen und lässt sich von uns nicht aufhalten. Da gilt es zusätzliche Fluktuation zu vermeiden. Denn wir wollen, dass unsere Bestandsbelegschaft ein Multiplikator im Arbeitsmarkt ist. Dass das so sein kann, ist ein Fakt: Ich kenne kaum jemanden, der nicht privat in seinem Umfeld über seinen Beruf spricht. Und das sollte nach Möglichkeit mit einer sehr positiven Meinung belegt sein. Über Mundpropaganda, gerade hier im ländlichen Bereich, kommt man gut an die so dringend benötigten Fachkräfte heran.
 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten.  Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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