Arbeitnehmermarkt

Pia-Dominique_Schweitzer

Foto: Privat

Fünf Fragen an Expertin Pia-Dominique Schweitzer

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um den Arbeitnehmermarkt!  Führungskräfte Deutschlands führender Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie in der aktuellen Marktsituationen Bewerber:innen begeistern und gewinnen wollen.

Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.

In diesem Interview spricht Pia Dominique Schweitzer, Psychologin und Karriere Coach für Frauen darüber, dass der Fachkräftemangel ein Ende der Hustle Culture bedeuten könnte und weshalb Unternehmen ihre Angestellten künftig schneller befördern sollten.

Das ist Pia Dominique Schweitzer

Pia-Dominique Schweitzer ist Psychologin, Personalerin und Karrierecoach speziell für Frauen. Motiviert durch ihren eigenen Karrierestart, bei dem sie erst einiges ausprobieren musste, um den für Sie passenden Beruf zu finden, hat sie es zu ihrer Mission gemacht, anderen Frauen zu helfen.

Frau Schweitzer, welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel auf betroffene Unternehmen in den Bereichen Produktivität, Qualität und Innovationsfähigkeit schon heute?

Ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften kann die Produktivität beeinträchtigen, da Unternehmen möglicherweise nicht über genügend Ressourcen verfügen, um ihre Projekte effizient abzuschließen. Das kann außerdem schnell zur Abwärtsspirale werden, wenn entweder aus Mangel an Alternativen die „falschen“ Mitarbeiter rekrutiert werden, oder vorhandene Mitarbeiter dauerhaft unbesetzte Stellen ausgleichen müssen und deswegen überlastet werden und schlussendlich Fehlzeiten steigen.

Der Fachkräftemangel kann dementsprechend auch die Qualität der Arbeit beeinträchtigen, da Unternehmen möglicherweise Kompromisse bei der Auswahl von Mitarbeitern eingehen müssen. Fehlende Fachkräfte können außerdem die Innovationsfähigkeit hemmen, da kreative Ideen und spezialisierte Kenntnisse möglicherweise fehlen. Außerdem brauchen meiner Meinung nach neue Ideen und Innovation auch genug Zeit und Raum, um überhaupt entstehen zu können. Wenn alle aufgrund von Unterbesetzung ständig nur im „survival mode“ sind, bleibt wenig Raum für Innovation.
 

Welche langfristigen Probleme ergeben sich für Unternehmen aus einem Arbeitnehmermarkt?

  • Erhöhte Kosten: Im Arbeitnehmermarkt steigen die Löhne, da Unternehmen höhere Gehälter bieten müssen, um für qualifizierte Fachkräfte attraktiv zu sein und diese zu halten. Außerdem muss mehr in Bereiche wie Talent Management, Talent Attraction und Employer Branding investiert werden.
  • Wettbewerbsnachteile: Unternehmen, die es schwer haben, für talentierte Mitarbeiter attraktiv zu sein werden im Wettbewerb mit anderen Unternehmen ins Hintertreffen geraten.
  • Fluktuation: Ein Mangel an Fachkräften kann zu einer höheren Mitarbeiterfluktuation führen, da Arbeitnehmer leichter zu anderen Unternehmen wechseln können. Damit wird der Arbeitsmarkt schnelllebiger, was allerdings auch Vorteile bietet.
  • Natürlich kann auch das Wachstum einer Firma davon beeinträchtigt werden, wenn Fachkräfte fehlen.
     

Gibt es für Unternehmen auch Chancen? Und wenn ja, welche?

Natürlich. Der Fachkräftemangel wird hoffentlich auch die Folge haben, dass Unternehmen sich in Zukunft mehr nach menschlichen Bedürfnissen nach Work-Life-Balance, Wertschätzung und co. richten. Schlicht und ergreifend deswegen, weil in einem Arbeitnehmermarkt, Arbeitnehmer nicht mehr aus Mangel an Alternativen gezwungen sind einer in manchen Branchen üblichen „Hustle Culture“ zu folgen. Ich sehe das sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber als Vorteil. Und es kann auch in den Bereichen Diversity und Inclusion positive Effekte haben. Migration ist beispielsweise ein absolut notwendiger Teil der Lösung. Unternehmen müssen jetzt diverser werden, wenn sie überleben wollen, da sie auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sind. Ebenso können wir (hoffentlich) auch in Bezug auf Alter, Geschlecht und co. auf mehr Inklusion und Diversität hoffen! In der Vergangenheit war es eher so, dass viele Firmen ungern jemanden eingestellt haben, der kurz vor dem Rentenalter steht. Dies könnte sich nun ändern. Ebenso könnte es zur Folge haben, dass junge Mitarbeitende schneller aufsteigen können als früher und mehr auf die individuelle Leistung als rein auf Erfahrung in Jahren geschaut wird. In diesem Bereich war Deutschland bisher eher konservativ unterwegs, in vielen anderen Ländern wie beispielsweise den USA oder UK geht sowas schon heute um einiges schneller als bei uns. Ich finde davon können wir uns eine Scheibe abschneiden.


Gibt es Unternehmen oder Branchen, die besser positioniert sind, um mit dem Fachkräftemangel umzugehen?

Laut Bund sind vor allem Berufsgruppen betroffen: akademische Berufe, Handwerk und Pflege… Also sowieso fast alle! Im Süden ist der Mangel noch größer als in anderen Gegenden Deutschlands, aber insgesamt kann man sagen, dass es eigentlich keine Branche und keine Berufsgruppe gibt, in der kein Mangel an Fachkräften herrscht. Ich denke es gibt aber einige Unternehmen, die an diesem Bewerbermarkt einen Vorteil haben. Dazu zählen beispielsweise Firmen, deren Unternehmenssprache bereits Englisch ist. Sie werden es zumindest leichter haben Arbeiter aus dem Ausland zu rekrutieren, denn die Sprache ist für viele ausländische Bewerber eine Hürde, der Andrang von Fachkräften aus dem Ausland ist aber durchaus vorhanden.

Was man branchenunabhängig sagen kann, ist: Eine starke Employer Brand zu haben ist von Vorteil. Wer nicht verstanden hat, wie wichtig das ist, wird in Zukunft verlieren. Außerdem bin ich überzeugt, dass diejenigen die hoch professionalisierte Recruitingteams haben und HR als essentiellen Treiber der Organisation anstatt rein administrativ anerkennen, einen Vorteil haben werden. Es gibt sehr viel HR-Technologie, die beim Finden und der Anspreche von Bewerbern nützlich sein kann und Zeit spart, aber nach meinem Eindruck sind hier viele Unternehmen weiterhin eher old school unterwegs. Es braucht ein kreatives, strategisches HR und Hiring Team.
 

Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind für Geschäftsführer:innen und Führungskräfte in der aktuellen Marktsituation besonders erforderlich, um Bewerber:innen für sich einzunehmen?

Potentialerkennung: Die Fähigkeit zu identifizieren, wer wirklich Potential hat und wo es sich lohnt Mitarbeiter zu entwickeln und zu fördern. Das bedeutet wirklich bewusst unterscheiden zu können, was KO-Kriterien bei der Einstellung sind und welche Fähigkeiten man entwickeln kann. Ich sehe immer noch sehr oft Stellenausschreibungen, die sich lesen, als ob die eierlegende Wollmilchsau gesucht wird. Anpassungsfähigkeit im Führungsstil und ehrliches Interesse an den Bedürfnissen von Mitarbeitern. „Schlechte Führung“ oder „mangelnde Wertschätzung“ gehören weiterhin zu den Hauptkündigungsgründen für Mitarbeiter. Wer seinen Führungsstil an die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Mitarbeiter(gruppen) anpasst, hat große Vorteile bei der Retention (auch wenn andere Faktoren, wie angemessene Vergütung usw. natürlich nicht außer Acht gelassen werden dürfen).

Ein Verständnis dafür, was Mitarbeiter heute wirklich wollen und brauchen. Ein kostenloser Kaffee, der Obstkorb oder regelmäßiges Feedback sind keine „Benefits“, sondern gehören heute zu den Grundvoraussetzungen. Das ist vielleicht auch nicht in jeder Branche oder bei jeder Berufsgruppe gleich aber wer hier mit ehrlichem Interesse und ein bisschen Kreativität in die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter investiert, tut kann sich langfristig am Markt der Arbeitgeber abheben. Solche Dinge sprechen sich nämlich rum. Offenheit, Flexibilität, Internationalität: Für viele Unternehmen wird es notwendig werden sich Fachkräfte aus dem Ausland ins Unternehmen zu holen. Das funktioniert aber nur, wenn von oben auch die Kultur in eine entsprechende Richtung entwickelt wird. Mit einer “das haben wir schon immer so gemacht”-Mentalität klappt das nicht. Allerdings sind solche großen kulturellen Veränderungen wie beispielsweise die Unternehmenssprache zu verändern auch immer riskant und müssen mit viel Fingerspitzengefühl und einer durchdachten Change Strategie durchgeführt werden.

 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten. Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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