Arbeitnehmermarkt

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Foto: Woco

Im Gespräch mit Anne Hartmann, Global HR Business Partner bei Woco

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um den Arbeitnehmermarkt!  Führungskräfte Deutschlands führender Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie in der aktuellen Marktsituationen Bewerber:innen begeistern und gewinnen wollen.

Auch an Familienunternehmen geht der Fachkräftemangel nicht vorbei. Umso wichtiger ist es, ein gutes Konzept zu haben, um für Bewerber:innen interessant zu bleiben.

In diesem Interview spricht Global HR Business Partner Anne Hartmann mit uns darüber, warum Woco vor allem mit steigender Fluktuation zu kämpfen hat und weshalb das Unternehmen seinen Mitarbeiter:innen seit Neuestem die Vier-Tage-Woche ermöglicht. 

Frau Hartmann, wie macht sich der Fachkräftemangel in Ihrem Unternehmen heute schon bemerkbar?

Im Bereich Recruiting macht es sich in der verlängerten Dauer bis wir eine Stelle nachbesetzen können, bemerkbar und dass der Bewerberpool für unsere ausgeschriebenen Stellen geringer geworden ist. Das wiederum führt dazu, dass wir natürlich im Bereich Recruiting einen höheren Aufwand betreiben müssen, da häufiger auf externe Unterstützung bei der Kandidatensuche zurückgegriffen wird. Gleichzeitig macht sich der Fachkräftemangel auch im Bereich Retention, also der Mitarbeitendenbindung, bemerkbar. Hier müssen wir verstärkt auch Ressourcen in die Hand nehmen, um unsere Fluktuationsrate so gering wie möglich zu halten.
 

Gibt es Bereiche, die bei Woco besonders  betroffen sind?

Unserer Meinung nach kann man das gar nicht an bestimmten Bereichen festmachen. Das ist schon etwas, das sich im gesamten Unternehmen zeigt. Wenn ich da jetzt aber einen Bereich besonders herausgreifen müsste: bei den technischen Berufen und in der IT sehen wir schon eine besondere Herausforderung.
 

Welche Auswirkungen hat dies auf die Produktivität, die Qualität und die Innovationsfähigkeit des Unternehmens?

Ich hatte es zuvor schon angedeutet: bei der Fluktuation macht sich das deutlich bemerkbar. Natürlich suchen auch bei uns Fachkräfte hin und wieder eine neue Herausforderung und verlassen das Unternehmen. Im Gegensatz zu früher dauert es bei uns inzwischen aber auch länger, bis Stellen nachbesetzt werden. Und letztendlich zwingt uns dann diese Kombination aus Fluktuation und weiterhin offenen Vakanzen als Unternehmen zu priorisieren. Das heißt, dass wir den Fokus auf unsere wichtigsten Aktivitäten lenken und wir gleichzeitig aktiv dafür sorgen müssen, dass unsere innovativen und zukunftsträchtigen Projekte nicht darunter leiden.
 

Die nächste Frage hatten sie jetzt ja teils schon beantwortet: Welche langfristigen Probleme ergeben sich für Familienunternehmen aus einem Arbeitnehmermarkt? Ist die Fluktuation eventuell auch teils dem geschuldet, dass Mitarbeiter:innen den Personalmangel mit steigender Produktivität ihrerseits ausgleichen müssen?

Bei dieser Frage muss man erst klären: was macht ein Familienunternehmen aus? Das ist ganz klar: eine persönliche Arbeitsatmosphäre, gemeinsame Wertevorstellungen, welche geprägt sind von Zusammenhalt und gemeinsamen Verantwortungsbewusstsein. Wir treiben den Erfolg des Unternehmens gemeinsam voran, mit Blick auf den Erhalt für alle nachfolgenden Generationen. Daraus ergibt sich aber die Herausforderung den Spagat zu schaffen, zwischen „Bewährtes soll bleiben“ und dem Willen nach Veränderung, aufgrund von neuen Technologien und Chancen, besonders in einem so dynamischen Marktumfeld wie Automotive.
 

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Dr. Christian Klein

Professor für Sustainable Finance an der Universität Kassel

Warum verändert sich der Arbeitsmarkt aktuell so stark?

„Der demografische Wandel bedingt eine Arbeitsmarktentwicklung, die wir bisher nicht kannten: Es gibt zu viele Jobs, zu wenige Arbeitskräfte. Gerade im Bereich Nachhaltigkeit werden künftig noch viel mehr Jobs entstehen. Nicht nur aufgrund des Fachkräftemangels gibt es aber nicht genügend Menschen, die in diesem Bereich gut ausgebildet sind. Natürlich gibt es Studiengänge, aber die spucken gar nicht so viele Leute aus, wie künftig benötigt werden. 

Besonders für die Generationen Y und Z spielt Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit des Berufs eine große Rolle. Kein Wunder, werden sich doch vor allem diese Generationen mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen müssen. Deshalb: Unternehmen, die ihre Gesellschaftliche Verantwortung jetzt anerkennen oder sich ihr bereits proaktiv stellen, können aktuell noch qualifizierte Leute finden. Wer sich erst in etwa drei Jahren damit auseinandersetzt, wird massive Probleme bekommen.“
 

Woco-Entwicklungszentrum

Im Entwicklungszentrum bildet Woco seine Mitarbeiter:innen weiter.

Foto: Woco

Gibt es auch Chancen? Und wenn ja, welche?

Chancen für den Fachkräftemangel und den zuvor genannten Herausforderungen sehen wir in der Generation, die jetzt nach und nach in den Arbeitsmarkt eintritt, nämlich der Generation Z. Da schauen wir natürlich genau hin: was macht die Generation eigentlich aus? Was sind deren Motivatoren? Was fordert die Generation vom Arbeitgeber? Deren Motivatoren sind wechselnde Herausforderungen, Entwicklungsmöglichkeiten und innovative, interessante Projekte. Das muss man nutzen, um gemeinsam mit ihnen die Zukunft unseres Familienunternehmens neu zu gestalten und auch die Wertvorstellung im Unternehmen selbst weiterzuentwickeln.
 

Sind Familienunternehmen in der Regel besser oder schlechter positioniert als Nicht- Familienunternehmen, um im Werben um Angestellte auch in einem Arbeitnehmermarkt bestehen zu können?

Über die Frage, ob man als Familienunternehmen besser oder schlechter positioniert ist, haben wir uns auch Gedanken gemacht. Aus unserer Sicht ist es jetzt nicht so, dass man anhand des Kriteriums „Familienunternehmen“ allein den Erfolg bei Arbeitnehmern messen kann. Dafür spielen zu viele andere Themen eine große Rolle. Bei der Wahl des Arbeitgebers sind es viele individuelle Faktoren, von Bewerber:in zu Bewerber:in ganz unterschiedlich, und das ist auch entsprechend miteinzubeziehen. Dennoch sind wir der Meinung, dass eben Familienunternehmen eine geringere Bekanntheit haben als große Konzerne. Gerade mittelständischen Unternehmen fällt es schwer, auf sich aufmerksam zu machen. Was wiederum dazu führt, dass man eben verstärkt Recruiting- Kampagnen starten muss. Auch der Standort kann hier ein Faktor sein, gerade wenn das Familienunternehmen in einer ländlichen Region angesiedelt ist. Daher ist es wichtig umzudenken: wir müssen uns jetzt proaktiv bei den Bewerber:innen bewerben durch motivierende Benefits und Werte, die wir vermitteln und der Zielgruppe wichtig sind. Die Frage sollte also nicht sein, ob man als Familienunternehmen gut oder schlecht positioniert ist, sondern wir denken, eine gute Positionierung muss sich in den Recruiting-Kampagnen widerspiegeln, die jedes Familienunternehmen für sich individuell gestaltet.
 

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Anastasia Barner

Speakerin, Autorin und Gründerin des Frauen-Netzwerks FeMentor

Foto: Eric Kökeritz

Gibt es Unternehmen oder Branchen, die besser positioniert sind, um mit dem
Fachkräftemangel umzugehen?

„Um mich jetzt auf die Generation Z zu beziehen, zu der ich ja gehöre: ein großer Teil möchte ein Startup gründen oder selbstständig sein, ein weiterer Großteil möchte Influencer:in werden. Bleiben am Ende also gar nicht so viele übrig, die noch von einem Angestelltenverhältnis träumen. Das heißt, dass alle Unternehmen und Branchen von dem Problem eines Fachkräftemangels betroffen sind. Große Konzerne mit attraktiven Mitarbeiter:innen-Angeboten werden aber in der Masse hervorstechen und als bevorzugte Anlaufstelle gesehen. Ich bin mir aber sicher, dass es in ein paar Jahren auch einige Berufe nicht mehr so geben wird. ChatGPT, und KI-Tools, allgemein entwickeln sich unglaublich schnell und werden gewisse Berufe obsolet machen. Gleichzeitig werden dadurch aber auch neue Berufe geschaffen, das darf dabei nicht vergessen werden.“
 

Heißt das, dass Sie bei Woco im Werben um die Fachkräfte gar nicht damit spielen, dass Sie ein Familienunternehmen sind?

Doch, in jedem Fall. Das beginnt schon auf unserer Karriereseite, wo wir natürlich publizieren, dass wir ein Familienunternehmen sind. Aber auch in der Art, wie wir das Bewerbungsgespräch führen. Wir erzählen ja auch gerne, was wir als Woco bisher in der Vergangenheit erreicht haben und gehen auf die gemeinsamen Erfolge ein.
 

Die Identifikation der Angestellten mit dem Arbeitgeber ist traditionell bei Familienunternehmen höher als bei Nicht-Familienunternehmen. Ist das Ihrer Meinung nach noch immer der Fall?

Wir sehen schon, dass sich das verändert hat und nicht unbedingt mehr der Fall ist. Natürlich haben wir viele Mitarbeitende bei uns im Unternehmen, die eine sehr lange Betriebszugehörigkeit haben. Die fühlen sich sehr stark mit Woco verbunden, gerade weil sie gemeinsam viele Höhen und Tiefen erlebt haben und sich bei uns auch weiterentwickelt haben, sowohl beruflich als auch persönlich. Das ändert sich jedoch mit den jüngeren Generationen, auch bei Familienunternehmen. Sie sind weniger emotional mit den Unternehmen verbunden und eher offen für einen Jobwechsel. Eine generell höhere Anzahl an Arbeitgeberwechseln führt dann auch wieder zu einer geringeren Identifikation.
 

Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind für Führungskräfte in Familienunternehmen in der aktuellen Marktsituation besonders erforderlich?

Die Führungskräfte sollten viel mit ihren Mitarbeitenden kommunizieren, offen und ehrlich sein. Aber auch motivieren, Sicherheit geben und Vertrauen schaffen. Denn für eine Mitarbeitendenbindung ist es einfach wichtig, dass ein Wir-Gefühl entsteht und auch die Mitarbeitenden den Sinn in ihrer Tätigkeit sehen. Zudem ist es auch bei einer hohen Fluktuation im Unternehmen wichtig, dass man als Führungskraft offen und flexibel ist, um neue Mitarbeitende schnell und effektiv in die Teams zu integrieren.
 

Welche Strategien sind erforderlich, damit Unternehmen auch in Zukunft erfolgreich bleiben können? Und konkret auf Woco bezogen: welche Maßnahmen gibt es da vielleicht schon?

Grundsätzlich ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, welche Generationen im Unternehmen eigentlich vorhanden sind und wie diese ticken. Das hilft uns im HR-Bereich interne Maßnahmen zu koordinieren, um verschiedene Generationen zusammenzubringen. Denn: jede Generation hat unterschiedliche Wertevorstellungen, die aufeinandertreffen. Diese Analyse hilft uns im nächsten Schritt externe Initiativen zu ergreifen, um erfolgreich die Generationen zu werben, die man für das Unternehmen gewinnen will, wie eben aktuell die Gen Z.
Gleichzeitig muss man sich auch mit dem Themenkomplex „Entwicklungstrends bei der Mitarbeitendenbindung“ regelmäßig auseinandersetzen. Da tut sich ja jede Menge. Bei uns vor allem im Automobilbereich. Wir haben große Hersteller, die sehr namhaft sind und eine große Markenpräsenz haben und dadurch hier den Takt vorgeben.

Schlussendlich braucht man auch eine wirksame EVP, also eine Employer-Value-Proposition, um die Ankerpunkte, die man definiert, auch nach außen spielen zu können und um die verschiedenen Generationen zu erreichen. Hier entwickelt man in drei Dimensionen, die auf bestimmte Generationen und Wertegerüste ausgerichtet sind, entsprechende Werbemaßnahmen für bestimmte Plattformen. Und das sind Themen, mit denen wir uns regelmäßig auseinandersetzen. Hier gilt bei uns nicht: einmal gemacht, warten wir dann erstmal fünf Jahre bis wir uns wieder damit befassen.
 

Können Sie uns verraten, welche verschiedenen Plattformen Sie für die verschiedenen Zielgruppen nutzen?

Anker und Anlaufpunkt einer wirksamen Recruitingstrategie ist schlussendlich immer die eigene Firmenpräsenz. Die wird bei uns gerade überarbeitet, da sie ziemlich altmodisch ist. Das muss man ehrlicherweise zugeben. Aber natürlich kann man davon ausgehend auch zielgruppengerecht verschiedene Plattformen nutzen: Sei es LinkedIn, um Professionals zu werben. Oder auch Instagram: hier machen wir im Bereich Ausbildung sehr viel, spielen dort Werbung aus. Wir haben jetzt auch eine Kooperation mit StudyDrive, um junge Studierende früh zu erreichen und um sie mit der Marke unseres Unternehmens vertraut zu machen.
 

Können wir zum Abschluss vielleicht ein bisschen in die Glaskugel schauen: was ist bei Woco zum Thema „Arbeitnehmermarkt“ geplant? Wo möchte sich das Unternehmen strategisch noch weiterentwickeln, um Fachkräfte zu gewinnen?

(lacht) So genau kann ich darüber jetzt nicht sprechen. Aber was man natürlich schon erwähnen kann: Wir haben letztes Jahr den Schritt gewagt, hier im Headquarter den Themenkomplex „Vier- Tage-Woche“ anzugehen. Man muss dazu sagen — das ist mir wichtig, um transparent zu sein, — nicht nur, weil wir das gut finden, sondern weil wir auch damit Kosten sparen wollten. Fakt ist, dass Kosteneinsparung der Grund für die Überlegungen waren. Ich bin aber sehr stolz darauf, dass wir bei Woco diese Ausgangslage dafür genutzt haben, um den Schritt in ein modernes Arbeitszeitmodell zu gehen und etwas Positives daraus zu machen. Aber schlussendlich auch, um damit den Wünschen nach Flexibilität, Work-Life-Balance, aber auch der Vereinbarkeit nicht nur von Familie und Beruf, sondern auch von Freizeit und Beruf, gerecht zu werden. Aber auch hier gilt die Prämisse: ein ständiges Auseinandersetzen mit dem Markt und dem, was die Leute brauchen. Und bei uns ist es halt multidimensional, weil wir eben einen globalen Footprint haben. Wir sind auf beinahe jedem Kontinent und wir brauchen also Strategien, die nicht nur das Wertegerüst in Deutschland abdecken, sondern auch verschiedene Mitarbeitendengruppen in verschiedenen Ländern einschließt: Mitarbeitende in Mexiko müssen selbstverständlich ganz anders adressiert werden als die hier in Deutschland. Und das macht es fast unmöglich, sich zielgerichtet mit einer Botschaft für eine ganze Gruppe zu positionieren. Hier müssen wir dezentral arbeiten und mit unseren HR-Kollegen in den Werken abstimmen.
 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten.  Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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