Arbeitnehmermarkt

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Foto: RWI Essen/Sven Lorenz

Fünf Fragen an Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um den Arbeitnehmermarkt!  Führungskräfte Deutschlands führender Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie in der aktuellen Marktsituationen Bewerber:innen begeistern und gewinnen wollen.

Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.

In diesem Interview erzählt Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum darüber, warum er am Wettbewerb um Arbeitskräfte nichts Negatives findet und welche Gefahren er stattdessen auf die deutsche Wirtschaft zukommen sieht. 

Das ist Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt

Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von März 2013 bis Februar 2020 dessen Vorsitzender.
 

 

Welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel auf betroffene Unternehmen in den Bereichen Produktivität, Qualität und Innovationsfähigkeit schon heute?

Die deutsche Arbeitsmarktordnung hat sich über viele Jahrzehnte und einige Krisen hinweg bewährt. Bliebe die Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen mit den beschäftigenden Unternehmen allein den einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern überlassen, wie es tendenziell in angelsächsisch geprägten Arbeitsmärkten der Fall ist, ergäbe sich eine Schieflage der Machtverhältnisse zu Ungunsten der Arbeitnehmerseite. Dies erkennend hat die positive Koalitionsfreiheit lange Zeit für ein gesundes Gleichgewicht der Machtverhältnisse gesorgt, bei dem Anreize für Produktivitätsfortschritte und Strukturwandel ihre Wirkung entfalten und zudem beide Marktseiten an der gestiegenen Wertschöpfung teilhaben konnten. Im internationalen wie im historischen Vergleich sind daher in Deutschland das Niveau des Wohlstands sowie dessen weitgehend homogene Verteilung bemerkenswert.

In der jüngeren Vergangenheit hat allerdings das Zusammenwirken des beginnenden demographischen Wandels und einer immer weiter ins betriebliche Geschehen eingreifenden Arbeitsmarktpolitik das bewährte Gleichgewicht ins Wanken gebracht: Der Arbeitsmarkt wurde erkennbar zum Angebotsmarkt, auf dem die Arbeitnehmerseite eine große Verhandlungs-macht gewonnen hat. Mittlerweile hat sich der demographischen Wandel sogar verschärft, sodass viele offene Stellen nicht besetzt werden und vielfach die Übergabe von in den Ruhe-stand wechselnden Beschäftigten an ihre Nachfolger nicht wie vorgesehen vollzogen werden können – oder es sich für nicht wenige Unternehmen trotz günstiger Auftragslage einfach nicht mehr rechnen dürfte, diese Arbeitsplätze weiterhin anzubieten.

In dieser Situation der durch große eigene Marktmacht eingeschränkten Leistungsanreize liegt es nahe, dass die Beschäftigten nicht so intensiv wie gewohnt nach neuen Lösungen suchen und nicht mit überobligatorischem Einsatz die Quantität steigern und die Qualitätssicherung der Leistungserbringung vorantreiben. Nicht zuletzt hat sich der Staat in der Corona-Pandemie als enorm leistungsfähig dabei erwiesen, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die persönlichen wirtschaftlichen Konsequenzen von Phasen unternehmerischen Stillstands abzufedern und so dem Leistungsdruck weiter entgegenzuwirken. Gleichzeitig dürfte der Anreiz zu unternehmerischen Aktivitäten eher abgenommen haben, denn in der Corona-Pandemie erhielt die wirtschaftliche Existenz von Unternehmerinnen und Unternehmern im Vergleich zum Gesundheitsschutz recht geringe Priorität.

Diese wenig optimistisch stimmenden Tendenzen zeigen sich auch in mittelfristigen Projektionen des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials. Diese Berechnungen blenden konstruktionsbedingt das Auf und Ab von konjunkturellen Schwankungen aus und konzentrieren sich auf die inhärente Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft, die sie aus dem Bestand an Sachkapital, aus dem verfügbaren Arbeitsvolumen und dem Stand des technologischen Fortschritts schöpft. Das Wirtschaftswachstum wird im kommenden Jahrzehnt selbst bei gleichbleibenden Zuwächsen an Sachkapital und technischem Fortschritt durch den mit dem demographischen Wandel einhergehenden Rückgang des Arbeitsvolumens gedämpft werden. Verstärkend werden dabei Minderungen der durchschnittlichen Arbeitszeit (Stichwort 4-Tage-Woche) wirken, gegenläufige positive Impulse könnte der Ausbau von KI und Automatisierung liefern.
 

Welche langfristigen Probleme ergeben sich für Unternehmen aus einem Arbeitnehmermarkt?

Das Potenzialwachstum der deutschen Volkswirtschaft wird aktuell nicht nur durch den demographischen Wandel und die damit verbundenen Wachstumseinschränkungen gehemmt, sondern auch durch eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die Deutschland als Investitionsstandort vergleichs-weise unattraktiv macht. Denn Nachteile etwa bei der geringen Verfügbarkeit eigener (Energie-)Rohstoffe ließen sich durchaus durch die attraktive Gestaltung anderer Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns ausgleichen, etwa durch niedrige Unternehmensbesteuerung, geringe Regulierungsdichte sowie eine schlanke und leistungsfähige öffentliche Verwaltung. Aktuell überwiegt im Regierungshandeln jedoch das Narrativ, allein der – von staatlicher Seite engmaschig gestaltete und mit massiven Subventionen begleitete – Anstoß zur Transformation zur Klimaneutralität könne bereits das künftige Wohlstandswachstum garantieren.

Ein wichtiges Element für einen attraktiven Unternehmens- und Investitionsstandort Deutschland ist der Zugang zu einem umfangreichen Reservoir hoch ausgebildeter und leistungsbereiter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Natürlich kann es einzelnen Unternehmen auch in der aktuellen Zeit zunehmender Fachkräfteengpässe gelingen, Fachkräfte für sich zu gewinnen. Der Arbeitsmarkt ist nicht im Begriff, morgen zusammenzubrechen. Aber die Umstände eines Anbietermarktes zwingen die Unternehmen dazu, größere Anstrengungen an den Tag zu legen, um – über höhere Löhne hin-aus – im Wettbewerb mit anderen nachfragenden Unternehmen für potenziell Beschäftigte attraktiv zu sein. Schon seit Jahren mehren sich daher die Anstrengungen der Unternehmen, bei Einstellungs-verfahren die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, die Flexibilität des Arbeitseinsatzes und die Qualität der Arbeitsbedingungen zu betonen.

Aus ökonomischer Sicht ist es nicht beklagenswert, wenn sich auf dem Arbeitsmarkt maßvolle Verschiebungen des Machtgefüges zum Vor- oder Nachteil der Beschäftigten oder der Unternehmen ergeben. Wenn es den Beschäftigten gelingt, insgesamt einen höheren Anteil der Wertschöpfung für sich zu reklamieren, weil sie als Produktionsfaktor vergleichsweise knapp sind, dann ist das so. Unternehmen werden bis zu einem gewissen Grad immer durch die Umgestaltung von Prozessen reagieren können, also insbesondere durch stärkeren Kapitaleinsatz und die Automatisierung von Tätigkeiten. Dies dürfte vor allem angesichts der wachsenden Möglichkeiten der Robotik und der KI zu-nehmende Bedeutung erfahren. Bedenklich wird es jedoch aus volkswirtschaftlicher Sicht, wenn es sich für mehr und mehr Unternehmen als beste Lösung erweisen sollte, sich vom Wirtschaftsstandort Deutschland zurückzuziehen.
 

Gibt es für Unternehmen auch Chancen? Und wenn ja, welche?

Die Soziale Marktwirtschaft lebt in ihrer Leistungs- und Innovationsfähigkeit von ihrem ‚Systemimperativ‘ – dem Wettbewerb: Bewährte Produktionsverfahren, Problemlösungen und Produkte werden stetig durch neue Ansätze infrage gestellt. Unternehmen, die bislang erfolgreich gewirtschaftet haben, können entweder durch Wettbewerber verdrängt werden oder sich stattdessen durch eigene Innovationsanstrengungen behaupten. Es gibt wenig Anlass daran zu zweifeln, dass dies beim Wettbewerb um leistungsfähige Arbeitskräfte grundsätzlich anders ist. Wer beständige, sinnstiftende und entsprechend gut entlohnte Arbeitsplätze anbieten kann, wird seine Stellung im Markt tendenziell behaupten können. Beunruhigend ist allerdings, dass die fortwährend steigende Regulierungsdichte den großen Unternehmen zunehmend Vorteile verschafft und so die bewährte mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft auszuhöhlen droht.
 

Gibt es Unternehmen oder Branchen, die besser positioniert sind, um mit dem Fachkräftemangel umzugehen?

Zum einen wird es eine Reihe von Unternehmen geben, die direkte Vorteile aus den veränderten Marktbedingungen schöpfen. Dazu gehören beispielsweise Unternehmen im Bereich der Jobvermittlung, auf die Unternehmen bei ihrer Suche nach Fachkräften zurückgreifen, oder im Weiterbildungsbereich, die den im Unternehmen vorhandenen Bestand an Kompetenzen aufwerten. Ebenso fallen darunter Anbieter von Robotik und KI, die Lösungen bereitstellen, um die fehlenden Fachkräfte zu ersetzen. Zum anderen werden solche Unternehmen tendenziell besser mit zunehmenden Fachkräfteengpässen zurechtkommen, für die der Einsatz von Fachkräften entweder eine vergleichsweise geringe Rolle spielt oder die relativ leicht auf automatisierte Lösungen umsteigen können. Insbesondere dürften Unternehmen mit hohen Gewinnmargen und einer entsprechenden Fähigkeit, hohe Löhne zu zahlen, im Vorteil sein.
 

Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind für Geschäftsführer:innen und Führungskräfte in der aktuellen Marktsituation besonders erforderlich, um Bewerber:innen für sich einzunehmen?

Es wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, ein hohes Gehalt und eine hohe Arbeitsplatzsicherheit anbieten zu können, um sich von Wettbewerbern abzuheben. Es treten damit andere Aspekte der Tätigkeit in den Vordergrund, beispielsweise ihre sinnstiftende Natur, das Arbeitsumfeld, die Selbstbestimmtheit und Flexibilität des Arbeitseinsatzes oder die Nähe zum Wohnort. Es gilt daher, potenzielle Teammitglieder von diesen Vorzügen zu überzeugen. Ein zunehmend wichtiger Aspekt wird aus der Sicht potenzieller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wohl auch die Persönlichkeit der Vorgesetzten und deren Umgang mit ihren Schützlingen sein. Die Ansprüche an die Führung eines Teams sind dementsprechend bereits heute im Begriff, sich weg von der (routinisierten) Organisation und Überwachung von Arbeitsabläufen hin zu einerseits Fragen der Unternehmensstrategie und andererseits der Entwicklung der Humanressourcen im Team zu verschieben.
 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten.  Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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