Arbeitnehmermarkt

Foto: Witzenmann

Im Gespräch mit Christine Wüst, Geschäftsführerin und Christina Nuss, Vice President People Management bei Witzenmann

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um den Arbeitnehmermarkt!  Führungskräfte Deutschlands führender Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie in der aktuellen Marktsituationen Bewerber:innen begeistern und gewinnen wollen.

Auch an Familienunternehmen geht der Fachkräftemangel nicht vorbei. Umso wichtiger ist ein gutes Konzept, um für Bewerber:innen interessant zu bleiben.

In diesem Doppelinterview sprechen Christine Wüst und Christina Nuss mit uns darüber, warum bei Witzenmann gleich mehrere große Transformationen anstehen und wie man die Zufriedenheit der bestehenden Belegschaft als Multiplikator nutzen kann. 

Frau Nuss, Frau Wüst, wie macht sich der Fachkräftemangel bei Witzemann heute schon bemerkbar?

Christina Nuss: Generell kann man sagen: Spätestens seit Ende der Corona-Pandemie macht sich der Fachkräftemangel branchenübergreifend bei allen Unternehmen und damit auch in der Gesellschaft bemerkbar. Der daraus entstehenden Dynamik können auch wir uns als Witzenmann-Gruppe nicht entziehen: Wir mussten feststellen, dass wir ausgeschriebene Vakanzen im Vergleich zu früher nicht mehr so schnell besetzen können. Die Anzahl der Bewerbungen geht zurück und wir bringen uns als Unternehmen bei den Bewerbern aktiv in die Diskussion. Auch in unserer sogenannten Time-to-Hire macht sich das bemerkbar: In der Tat brauchen wir häufig über einen Monat, um gewerbliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und wir merken, dass selbst dieses Zeitfenster mittlerweile stark variiert. Das macht es für uns in der Personalabteilung schwerer, interne Zielsetzungen einzuhalten. Bei Fach- und Führungskräften benötigen wir sogar drei Monate für die Besetzung einer offenen Vakanz und mir müssen stetig unser Bestes geben, um dieses Personal auch zu finden.

Christine Wüst: In Summe schaffen wir es vergleichsweise gut, unsere Stellen zu besetzen. Es dauert zwar alles länger und ist mit größeren Anstrengungen verbunden, aber am Ende leiden wir nicht in einem solchem Maß, dass wir gezwungen wären, innovative Projekte zurückzustellen. Und wie viele andere Unternehmen auch, tun wir uns bei bestimmten Positionen schwerer als bei anderen – allen voran bei IT Positionen. Und die Perspektive hat sich geändert – jetzt bewerben wir uns bei den Mitarbeitenden von morgen. Ebenso ist das Thema Retention Management – also Mitarbeiterbindung wieder stärker in den Vordergrund gerückt, auch bei unseren durchschnittlich recht hohen Betriebszugehörigkeiten investieren wir fleißig in weitere Maßnahmen. Natürlich schauen wir genau hin, wie wir mit unseren Kräften bestmöglich haushalten und entsprechend vor allem in die wichtigen und richtigen Themen investieren, die uns nach vorne bringen. 
 

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Prof.  Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt 

Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von März 2013 bis Februar 2020 dessen Vorsitzender.

Foto: RWI/Sven Lorenz

Warum verändert sich der Arbeitsmarkt aktuell so stark?

„Es wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, ein hohes Gehalt und eine hohe Arbeitsplatzsicherheit anbieten zu können, um sich von Wettbewerbern abzuheben. Es treten damit andere Aspekte der Tätigkeit in den Vordergrund, beispielsweise ihre sinnstiftende Natur, das Arbeitsumfeld, die Selbstbestimmtheit und Flexibilität des Arbeitseinsatzes oder die Nähe zum Wohnort. Es gilt daher, potenzielle Teammitglieder von diesen Vorzügen zu überzeugen. Ein zunehmend wichtiger Aspekt wird aus der Sicht potenzieller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wohl auch die Persönlichkeit der Vorgesetzten und deren Umgang mit ihren Schützlingen sein. Die Ansprüche an die Führung eines Teams sind dementsprechend bereits heute im Begriff, sich weg von der (routinisierten) Organisation und Überwachung von Arbeitsabläufen hin zu einerseits Fragen der Unternehmensstrategie und andererseits der Entwicklung der Humanressourcen im Team zu verschieben.“

Mit welch langfristigen Problemen kann sich der Fachkräftemangel denn speziell bei einem Familienunternehmen bemerkbar machen?

Christina Nuss: Im Bereich der Auszubildenden und in der Entwicklung von Nachwuchskräften sehen wir ein großes Handlungsfeld: hier müssen wir aktiv werben, denn durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren kommt auf uns eine große Aufgabe zu, die wir über die Sicherung von Nachwuchskräften noch gut steuern können.

Wir begreifen den Fachkräftemangel als Antrieb, die Attraktivität unseres Unternehmens kontinuierlich zu verbessern. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und als Arbeitgeber attraktiv bleiben. Neben unserem gut gelegenem Standort Pforzheim, mit einem großen Einzugsgebiet zwischen Stuttgart und Karlsruhe, sind wir mit weiteren, mit Familienunternehmen assoziierten Vorteilen, gut aufgestellt: Bei uns ist beispielsweise die generationsübergreifende Verbundenheit etwas, dass man häufig erlebt. In der Führungsetage ist die Familie Witzemann mittlerweile in der fünften Generation. Wir besitzen eine lange Familiengeschichte mit viel Tradition. „Generationsübergreifend“ bezieht sich bei uns auch nicht ausschließlich auf die Führungsebene. Aktuell beschäftigen wir in den Ausbildungsberufen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dritter Generation. Darauf sind wir besonders stolz.

Christine Wüst: Aktuell kämpfen doch einige Unternehmen um uns herum in Baden-Württemberg und aus der Presse hören wir, dass Maßnahmen zum Stellenabbau geplant sind. Ich bin gespannt, wie sich die Situation mit dem Fachkräftemangel weiterentwickelt. Uns fällt schon auf, dass sich Leute aus diesen Unternehmen aktiv bei uns melden, weil wir in der Region eine gute Reputation haben. Hier könnte für uns eine konkrete Chance liegen. Gleichzeitig sind wir mitten in der Transformation und nutzen diese Chance unsere Organisation zukunftsgerichtet aufzustellen.

Es ist wichtig für uns, Abläufe und Prozesse, wo immer möglich, zu verschlanken und zu hinterfragen. Die Digitalisierung hat natürlich auch einen großen Einfluss auf das ganze Thema. Ich bin zuversichtlich, dass unser Plan aufgeht und wir die Stellen, die wir auch weiterhin benötigen, gut nachbesetzen können, weil wir ein tolles Unternehmen sind mit den richtigen Werten. Das ist ein hohes Gut. Jeder möchten gerne zur Arbeit gehen und sich auf seine Kolleginnen und Kollegen freuen. Durch die Reorganisation und Fokussierung gepaart mit der Digitalisierung können wir das gut umverteilen.
 

Leitwerk_fuer_Transformation_Witzenmann

Am Standort Buchbusch in Pforzheim entsteht mit dem neuen Stammhaus das Leitwerk für die Transformation der gesamten Witzenmann-Gruppe. 

Foto: Witzenmann

Sind Familienunternehmen Ihrer Auffassung nach tendenziell besser aufgestellt, um jetzt auch erfolgreich um einen kleineren Bewerberpool werben zu können? Oder macht das für Sie eigentlich gar keinen so großen Unterschied?

Christina Nuss: Ich bin kein Fan einer binären Einteilung in „gut“ und „schlecht“. Wenn wir jedoch auf unser eigenes Unternehmen sehen, stellen wir fest, dass ein Viertel aller Bewerbungen — das ist echt eine Hausnummer — über Mundpropaganda unserer eigenen Belegschaft bzw. über Freunde und Bekannte erzielt werden. Das ist eine große Anzahl, die starke Verbundenheit verdeutlicht. Deshalb haben wir ein Programm aufgelegt: unsere Mitarbeitenden werden als Quasi-Headhunter prämiert, wenn sie eine erfolgreiche Bewerbung vermittelt haben. Das ganze Programm nennen wir „Bares für Rares“. Und diesen Vermittlungsbonus zahlen wir wirklich jedem Mitarbeitenden, auch für die Empfehlung von Auszubildenden und Praktikanten. Das kommt herausragend gut an.
 

Welche Kompetenzen und Fähigkeiten müssen Fach- und Führungskräfte in der aktuellen Marktsituation mitbringen?

Christina Nuss: Eine Frage, über die man sicherlich lange nachdenken kann. Aber grundsätzlich muss eine Führungskraft das passende Gespür für diese schnelllebige und veränderungsintensive Zeit mitbringen. Deshalb ist auch Flexibilität enorm wichtig und die Fähigkeit, unsere Mitarbeitenden jeden Tag aufs Neue zu motivieren, ihnen Halt zu geben und unsere Ziele strukturgebend wiederzugeben. Die Investition in unsere Führungskräfte ist für uns von großer Bedeutung.

Christine Wüst: Wir haben aus der Strategie heraus ein Führungskräfte- und Kulturentwicklungsprogramm abgeleitet, welches wir seit nunmehr drei Jahren implementiert haben und zwar nicht nur in Deutschland sondern weltweit. Wir haben erstmalig 600 unserer Führungskräfte für einen Austausch über Führung miteinander gebracht. Wir haben nicht gesagt: „So müsst ihr sein, so wollen wir, dass ihr in Zukunft führt“, sondern wir haben sie das selbst gestalten lassen. Wir haben immer jeweils zwei Länder miteinander in Austausch gebracht. Wir als Geschäftsführung der Gruppe beteiligen uns immer mir einer Fragerunde und gehen damit in einen offenen Austausch auf Augenhöhe, egal ob in Japan oder in Mexiko — wo auch immer, dank der Digitalisierung können wir heute ja überall zusammenkommen.

Jede Führungskraft hat einmal im Jahr diese Trainings. Wir wollen in der gemeinsamen Diskussion erarbeiten, was gute Führung ausmacht. Es geht hierbei um transformationale Führung: also wie kann man als Führungskraft auf Augenhöhe führen, dabei Coach und Sparringspartner sein kann – Mitarbeitenden Freiräume geben und sie empowern, um eigene Entscheidungen treffen zu können.
Das machen wir jetzt seit drei Jahren miteinander und wir bemerken einen großen Impact und wie uns dieses Training auf ein anderes Level gehoben hat. Unsere Führungskräfte sind heute besser sensibilisiert für die Erwartungshaltung der aktuellen Generation, der wichtig ist, dass ihre Arbeit sinnstiftend ist.
 

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Pia-Dominique Schweitzer

Psychologin und Karrierecoach für Frauen

Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind für Geschäftsführer:innen und Führungskräfte in der aktuellen Marktsituation besonders erforderlich, um Bewerber:innen für sich einzunehmen?

„Potentialerkennung: Die Fähigkeit zu identifizieren, wer wirklich Potential hat und wo es sich lohnt Mitarbeiter zu entwickeln und zu fördern. Das bedeutet wirklich bewusst unterscheiden zu können, was KO-Kriterien bei der Einstellung sind und welche Fähigkeiten man entwickeln kann. Ich sehe immer noch sehr oft Stellenausschreibungen, die sich lesen, als ob die eierlegende Wollmilchsau gesucht wird. Anpassungsfähigkeit im Führungsstil und ehrliches Interesse an den Bedürfnissen von Mitarbeitern. “Schlechte Führung” oder “mangelnde Wertschätzung” gehören weiterhin zu den Hauptkündigungsgründen für Mitarbeiter. Wer seinen Führungsstil an die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Mitarbeiter(gruppen) anpasst, hat große Vorteile bei der Retention (auch wenn andere Faktoren, wie angemessene Vergütung usw. natürlich nicht außer Acht gelassen werden dürfen).

Ein Verständnis dafür, was Mitarbeiter heute wirklich wollen und brauchen. Ein kostenloser Kaffee, der Obstkorb oder regelmäßiges Feedback sind keine “Benefits”, sondern gehören heute zu den Grundvoraussetzungen. Das ist vielleicht auch nicht in jeder Branche oder bei jeder Berufsgruppe gleich aber wer hier mit ehrlichem Interesse und ein bisschen Kreativität in die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter investiert, tut kann sich langfristig am Markt der Arbeitgeber abheben. Solche Dinge sprechen sich nämlich rum.

Offenheit, Flexibilität, Internationalität: Für viele Unternehmen wird es notwendig werden sich Fachkräfte aus dem Ausland ins Unternehmen zu holen. Das funktioniert aber nur, wenn von oben auch die Kultur in eine entsprechende Richtung entwickelt wird. Mit einer “das haben wir schon immer so gemacht”-Mentalität klappt das nicht. Allerdings sind solche großen kulturellen Veränderungen wie beispielsweise die Unternehmenssprache zu verändern auch immer riskant und müssen mit viel Fingerspitzengefühl und einer durchdachten Change Strategie durchgeführt werden.“

Wie will Witzenmann jetzt auf diesen Maßnahmen aufbauen? Was hat das Unternehmen für die Zukunft geplant?

Christine Wüst: Ganz oben auf unserer To-Do-Liste steht für uns die Transformation unseres Geschäftes. Diese teilt sich bei uns in drei Bereiche: Erstens eine technologische Transformation, bei der wir sehr gut unterwegs sind und zum Beispiel im Bereich Wasserstoff mit unseren Kunden an neuen Produkten arbeiten. Diese strategische Neuausrichtung mit Blick auf eine zukünftige CO2-neutrale Wirtschaft hilft uns dann auch bei der Suche nach Fachkräften, denn — wir haben es gerade schon angeschnitten — die Bewerber von heute und morgen, sind Nachhaltigkeit und Sinnstiftung super wichtig. Ich bin sehr dankbar, dass unsere Gesellschafter bereits vor fast 15 Jahren das Thema Nachhaltigkeit aus Überzeugung auf die strategische Unternehmensebene gehoben haben und wir uns intensiv mit dem Thema beschäftigen. Deshalb haben wir es auch zum eigenen Purpose gemacht, indem wir sagen „Wir helfen der Welt zuverlässig und sauber zu werden“. Und das ist unser Antrieb, um Produkte zu entwickeln, die nachhaltig sind. Daneben betreiben wir aber auch die digitale Transformation sehr aktiv: Hier spielt neben dem Digital Workplace und der zunehmenden Automatisierung der Arbeit die KI eine große Rolle, sowohl im Produktionsumfeld, aber auch im administrativen Bereich. Und ein dritter Punkt, der für uns wichtig ist und über den wir jetzt bereits ausführlich gesprochen haben, ist die kulturelle Transformation.

Uns ist wichtig, dass unser Employer Branding nach innen und nach außen authentisch und echt ist, weil wir einfach davon überzeugt sind, dass unsere Werte so stark sind, dass sie als guter Magnet für potentielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anziehend wirken.
 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten.  Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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