Gesellschaftliche Verantwortung

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Foto: Witzenmann

Im Gespräch mit Christine Wüst, Geschäftsführerin von Witzenmann

Für unsere Interviewreihe Gesellschaftliche Verantwortung sprechen wir in den kommenden Wochen mit sechs Führungskräften, die das Thema in ihrem Familienunternehmen verantworten.

Für Unternehmen ist das Übernehmen von Gesellschaftlicher Verantwortung (CSR) heute wichtiger denn je. Allerdings gibt es keinen einheitlichen Ansatz, besonders Familienunternehmen haben häufig eine sehr individuelle CSR-Strategie.

In diesem Interview erzählt uns Christine Wüst, Geschäftsführerin bei Witzenmann, wie das Leitbild die CSR-Strategie des Unternehmens beeinflusst, weshalb man sich den Leuten am Gründungsstandort Pforzheim gegenüber besonders verpflichtet fühlt und wie Witzenmann sich um Transparenz bei seinen Lieferanten bemüht.

Wie definieren Sie Gesellschaftliche Verantwortung bei Witzenmann?

Ich bin bereits früh in meinem Berufsleben in Berührung mit dem Thema Unternehmensethik gekommen, lange bevor Nachhaltigkeit oder CSR im Fokus standen. Auch bei Witzenmann stehen ökologische und soziale Verantwortung sowie Unternehmensethik und verantwortungsvolle Unternehmensführung im Mittelpunkt. Gewinnmaximierung ist für uns nicht alles. Wir fühlen uns hier unseren Mitarbeiter:innen gegenüber sehr verpflichtet. Uns ist es wichtig, dass unsere Mitarbeiter:innen gerne zur Arbeit kommen und die Wertschätzung spüren. Davon profitiert letztendlich auch das Unternehmen: denn wer seine Arbeit liebt, gibt sein Bestes und identifiziert sich mit dem Unternehmen. Darüber hinaus beteiligen wir uns aber auch an gemeinnützigen Projekten und Initiativen, z.B. bei der Jugendförderung oder der Unterstützung von Geflüchteten.
 

Wie konkret werden Maßnahmen bei Witzenmann integriert?

2019 haben wir ein Unternehmensleitbild gemeinsam mit internationalen Kolleg:innen erstellt: unser Purpose lautet: „Wir helfen, die Welt sauberer und verlässlicher zu machen.“ Dieser Purpose allein bildet die ganze ökologische Seite ab. Zudem formuliert das Witzenmann-Leitbild noch vier Leitsätze, von denen sich einer explizit auf das Thema „Gesellschaftliche Verantwortung“ stützt. Und der teilt sich wiederum in die Themenfelder Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, kulturelle Vielfalt und Chancengleichheit auf.

Dieses Leitbild ist die Basis aller Dinge, die wir tun. Darauf bauen wir eine Unternehmensstrategie, welche die digitale, technologische und kulturelle Transformation beinhaltet. Ein konkretes Beispiel ist das Leadership- und Kulturtransformationsprogramm WI-Empower, bei dem wir gemeinsam mit allen Führungskräften weltweit hierarchieunabhängig an einem einheitlichen Verständnis von Führung und Zusammenarbeit in der ganzen Witzenmann-Gruppe arbeiten. Das Programm ist über mehrere Jahre angelegt und beinhaltet auch einen Pulse-Check, bei dem die Mitarbeiter:innen Feedback an ihre Führungskräfte zum Thema Führung und Zusammenarbeit geben. Die Führungskräfte ihrerseits müssen die Ergebnisse mit dem Team diskutieren, um Verbesserungspotentiale zu heben. Auch wir als Geschäftsführung sind Teil des Programmes.

Witzenmann besitzt ein breites Kunden- und Produktportfolio – ist da eine einheitliche CSR- Strategie für alle Bereiche überhaupt möglich?

Ja! Wir haben eine Nachhaltigkeitsstrategie, die sich eben aus dem besagten Unternehmensleitbild und der Unternehmensstrategie ableitet. Und diese gilt tatsächlich für alle Töchterunternehmen, Standorte und Sparten. Anders würde es auch ehrlicherweise gar nicht gehen. Gesetze und Regularien gelten oft übergreifend. Insbesondere in Europa nimmt die Regulatorik durch die Umsetzung des Green Deals immer stärker zu. Hier braucht es ein gruppenweit einheitliches Vorgehen, das wir mit unseren Nachhaltigkeitsstrategie sicherstellen. Eines unserer großen Ziele ist es, in wirklich allen Bereichen künftig CO2-neutral zu agieren.
 

< >Christian Felber

Christian Felber

Wirtschaftssystemkritiker und Bestseller-Autor (u.a. „Die Gemeinwohl-Ökonomie“) 

Foto: Robert Gortana

Wie zielgerichtet sind die neuen EU-Richtlinien?

„All diese Rechtsinstrumente — Taxonomie, Nachhaltigkeitsberichtserstattungsrichtlinie, Lieferkettensorgfaltsgesetz, Anti-Greenwashing etc. — sind Schritte in die richtige Richtung, aber es sind zu viele. Wir gehen in Richtung Überregulierung, bei gleichzeitig zu geringer Wirkung. Die verschiedenen Gesetze sind nicht kohärent und konsistent aufeinander abgestimmt.“

Felber kritisiert zudem, dass wesentliche Aspekte in der aktuellen Gesetzgebung stark verwässert wurden. Verantwortliche würden nicht ausreichend in die Pflicht genommen werden und fossile Energieträger wie Gas würde die EU-Taxonomie weiterhin aussparen. Dadurch sei die Wirkung zu gering. Er plädiert für die Überwindung des Bruttoinlandproduktes als monetäres Erfolgsmodell und stattdessen für ein Gemeinwohlprodukt. Daraus ließe sich dann eine allgemeinverbindliche und allumfassende Gemeinwohlbilanz ableiten.

Es sei wichtig, dass der Gesetzgeber positive und negative Anreize schafft: „Damit könnte man das Wirtschaftssystem nachhaltig ändern. Dann hätten diejenigen, die heute den Vorteil haben, weil sie Verluste vergesellschaften und Gewinne privatisieren, plötzlich das Nachsehen. Und diejenigen, die Nutzen externalisieren, d. h. echten Wohlstand schaffen, und Kosten internalisieren – also die Schäden, die sie verursachen, selbst tragen oder besser vermeiden – wären dann endlich im Vorteil. Das wäre die Behebung eines Systemfehlers, durch kohärentere und wirksamere Regulierungen.“
 

Besitzen Familienunternehmen ein höheres Maß an gesellschaftlicher Verantwortung als Nicht-Familienunternehmen?

Ich glaube schon. Uns gibt es seit 1854, mein Kollege ist geschäftsführender Gesellschafter in der fünften Generation und wir beschäftigen teilweise Familien in der dritten oder gar vierten Generation bei uns. Wir haben also eine Verantwortung über Generationen hinweg. Im Bereich Unternehmenskultur fühlen wir uns deshalb ganz besonders verpflichtet. Die darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern es muss spürbar sein. Wenn man hier über den Hof läuft, wird gelacht, gewinkt, gegrüßt. Nicht-Familienunternehmen sind deutlich anonymer.

Und wir sind natürlich auch lokal sehr verwurzelt. Der Gründungsstandort Pforzheim gehört zu unserer DNA. Wir haben enge Verbindungen mit den Vertreter:innen der Kommune, der Hochschule, aber auch mit Mitbewerber:innen und Kund:innen. Deshalb werden wir auch in die Zukunft des Standortes investieren und neu bauen.
 

Christine-Wuest-UTBW-Preisverleihung

Christine Wüst mit der Urkunde des Klimabündnis Baden-Württemberg

Foto: Witzenmann

Wie aber stellen sie sicher, dass die Maßnahmen die Bedürfnisse der Gemeinschaft erfüllen?

Wir leben die Feedbackkultur, nicht nur bei uns im Haus. Wir befragen regelmäßig die Belegschaft, auch zu Themen, die CSR betreffen. Da gibt es in der schönen neuen digitalen Welt ganz viele tolle Möglichkeiten. Im Zuge unseres Nachhaltigkeitsbericht haben wir zudem eine Wesentlichkeitsanalyse machen dürfen und unsere Kund:innen, Lieferant:innen sowie Vertreter:innen aus der Wissenschaft, aus der Forschung und der Politik und Wirtschaft befragt. Und natürlich muss so ein Bericht regelmäßig geupdated werden.
 

Wie sichern Sie, dass Ihre CSR-Initiativen nach außen hin als authentisch wahrgenommen werden?

Wir reagieren ganz allergisch auf das Thema „Greenwashing“, weil wir uns schon seit über zehn Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen und schon sehr früh Maßnahmen implementiert haben. Aber natürlich ist das ein Problem. Es verbessert unsere Attraktivität als Arbeitgeber:in, wenn wir damit werben. Trotzdem muss es authentisch sein. Wir haben klare Werte und eine klare Mission. Am Ende müssen Bewerber:innen das auch wiederfinden, was wir nach außen darstellen. Transparenz ist deshalb für uns sehr wichtig. Die schaffen wir seit zehn Jahren über unseren Nachhaltigkeitsbericht. Seit 2011 sind wir Mitglied des UN Global Compact.
Und auf externen Plattformen wie Kununu können Bewerber:innen natürlich auch nachlesen, wie Mitarbeiter:innen das Unternehmen erleben.
 

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Georg Kell

Gründungsdirektor des UN Global Compact

Wie sinnvoll sind ESG-Scores, um die Nachhaltigkeitsaktivitäten eines Unternehmens einschätzen zu können?

„Als Mitbegründer des ESG-Begriffes — 2005 gemeinsam mit Kofi Annan und einigen Pensionskassen — war unsere Annahme damals, dass Investoren, die Nachhaltigkeit fest in ihre Finanzentscheidungen integrieren, für die großen Herausforderungen der Zukunft besser positioniert sind. ESG-Scores sind aber nur ein Input von vielen. Diese Ratings sind natürlich nicht perfekt, denn sie schauen in ihrer Bewertung nur „nach hinten“. Dafür wurden sie zu Recht auch viel kritisiert.

Aber: die Datengrundlage hierfür verbessert sich ständig. Zum einen gibt es immer mehr Regulierung. Viele Firmen MÜSSEN jetzt glaubwürdige Daten publizieren. Bisher war das Ganze auf freiwilliger Basis. Gleichzeitig wird Transparenz im ESG-Bereich auch immer stärker als Opportunität und nicht länger als Bedrohung verstanden. Ich bin auch im Finanzbereich als Chairman bei Arabesque tätig. Dort setzen wir zusätzlich gezielt A.I. ein, um themenspezifisch langfristige Orientierung bei Investment-Portfolios zu ermöglichen. Die Erstellung eines Portfolios war bisher sehr aufwendig. Technologie hilft jetzt, auch diese Barrieren zu überwinden.“
 

Wie gelingt es, dass die CSR-Leitbilder auch wirklich von allen Mitarbeitenden gelebt und verinnerlicht werden?

Die Verankerung dieses Themas im Unternehmensleitbild hatte ich schon angesprochen. Das Unternehmensleitbild wurde unter Beteiligung der Mitarbeitenden erarbeitet. Aus diesem Grund ist die Identifikation der Mitarbeitenden mit den Aspekten des Unternehmensleitbilds und damit auch mit der gesellschaftlichen Verantwortung sehr groß. Es gab weltweit Workshops mit allen Mitarbeitenden. Und natürlich gibt es auch Schulungen zu Themen der Gesellschaftlichen Verantwortung wie z.B. Compliance, Anti-Korruption usw. Über Umfragen binden wir immer wieder unsere Mitarbeitenden in themenfremden Bereichen ein. So stellen wir sicher, dass sich alle Mitarbeitenden an Themen der gesellschaftlichen Verantwortung beteiligen können.
 

Und einen Schritt weitergedacht: Wie sieht es bei Lieferant:innen und externen Partnerunternehmen aus? Wie stellen Sie hier sicher, dass die auch zum CSR-Leitbild passen?

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beschäftigt uns tatsächlich schwer. Nicht falsch verstehen: ich finde es ist eine tolle Initiative. Aber es ist sperrig und schwierig, und ich weiß ehrlicherweise gar nicht, wie kleine Familienunternehmen das alles gewuppt kriegen. Auf der einen Seite ist es wichtig, in diesen Bereich Transparenz reinzukriegen. Wir haben umfangreiche Risikoanalysen gemacht um Transparenz in unsere Lieferkette zu bekommen. Außerdem haben wir Selbstauskunftsbögen an risikobehaftete Lieferant:innen geschickt, sodass diese uns Transparenz über die Einhaltung der Umwelt- und Sozialstandards mitteilen konnten. Und dann haben wir einen Supplier Code of Conduct, wo wir konkret auch unseren Lieferanten sagen, welche ökologischen, sozialen und ethischen Anforderungen wir an sie haben. Das gilt es jetzt an alle Lieferanten auszurollen, weltweit, das ist an manchen Ecken der Welt schwieriger als an anderen.
 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten.  Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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