Künstliche Intelligenz

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Fragen an Experte Prof. Dr. Ralf Otte
In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um das Thema Künstliche Intelligenz. Führungskräfte Deutschlands und Unternehmensnachfolger:innen führender deutscher Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie künstliche Intelligenz in ihrem Unternehmen bereits nutzen und was sich dadurch verändert.
Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.
In diesem Interview erklärt Prof. Dr. Ralf Otte den KI-Hype, ihre Entwicklungsstufen und Herausforderungen für Unternehmen.
Wie erklären Sie den aktuellen Hype um Künstliche Intelligenz?
Im Jahr 2022 ist der Erfolg von KI in der breiten Weltöffentlichkeit endlich angekommen. Maßgeblich durch ChatGPT. Davor gab es schon einige markante Verbesserungen der KI, der dann jedoch wieder Enttäuschungen folgten. Die KI hat sich quasi in Wellenbewegungen weiterentwickelt und wird immer besser. KI gibt es aber schon lange. In den 1940er Jahren nannte man derartige Forschungen noch technische Kybernetik. Die KI wurde 1956 in den USA als Artificial Intelligence eingeführt.
Wie kann man KI beschreiben?
Bei der KI sind bislang drei Intelligenz-Stufen zu erkennen. Die erste Stufe ist die KI, die regelbasiert denken kann. Beispiel: Wenn es regnet, ist die Straße nass. Das nennt man die deduktive KI. Die gibt es seit den 1950er Jahren. Aber mit dieser KI kann man viele Aufgaben nicht lösen. Deshalb wurde die deduktive KI in den 1980er Jahren mit den auch schon seit Jahrzehnten bekannten sogenannten neuronalen Netzen zusammengeführt. Das sind Systeme, die lernen können. Daraus ist die induktive KI entstanden. Man gibt ihr Daten, aber die Regeln und Zusammenhänge findet sie selber. Diese zweite Stufe der KI ist inzwischen Stand der Technik. Sie hat in sehr vielen industriellen und kaufmännischen Prozessen Anwendung gefunden und zu einer erheblichen Effizienzsteigerung geführt.
Und die dritte Stufe?
Die dritte Stufe ist die kognitive KI, eine Verschmelzung von Denken und Lernen. Das heißt Lernen aus Beobachtungen und Abstraktion des Gelernten, also weiter denken. Der Mensch macht diese Art der Wissensgenerierung mit links und wird dadurch immer klüger. Aber bei der künstlichen Intelligenz stehen wir hier erst am Anfang. Das kann man sehr gut an ChatGPT sehen. Das System halluziniert noch häufig, antwortet also eindeutig falsch. Das heisst: Lernen kann die KI, isoliert denken kann sie auch. Aber die Verschmelzung zur Kognition bekommt bislang noch kein KI-System befriedigend hin. Das hat große Auswirkung auf die Kreativität, denn Kreativität bedeutet richtige Aussagen in einem ungelernten Extrapolationsraum zu tätigen. Das kann der Mensch recht gut, die KI in der Regel nicht.
Warum begegnen viele Menschen der neuen Stufe der KI mit Sorge?
Mittlerweile ist durch die KI auch eine sehr gute Bildverarbeitung möglich. Die Grundlage dafür hat der Brite Geoffrey Hinton 2010 gelegt und dafür voriges Jahr den Nobelpreis für Physik bekommen. Seit 2022 haben wir dank Open AI auch eine nahezu universelle Sprachverarbeitung. Die Menschen haben nun Sorge, dass sich diese Sprachmaschinen in Kombination mit der Bildverarbeitung in ihr Kommunikationsverhalten einmischen könnten. Es sind sozusagen soziotechnische Maschinen entstanden. Man weiß nicht mehr, ob man im Netz mit einem Menschen oder einer Maschine kommuniziert. Und viele fragen sich jetzt: Wenn das System so gut reden kann, kann es auch so gut denken? Aber das kann es definitiv nicht. Es steht eben noch nicht einmal auf der Stufe der Kognition. Das schafft die KI in den nächsten 50 Jahren auch nicht. In meinem neuestem Buch “Künstliche Intelligenz - Illusion und Wirklichkeit. Warum vollautonomes Fahren weltweit niemals Wirklichkeit wird und uns zu Hause auch kein Roboter einen Kaffee holt" will ich die KI entmystifizieren und den Menschen die Sorgen nehmen.
Warum ist es für die KI so schwierig, die Stufe der Kognition zu erreichen?
Die KI von heute ist eine rein mathematische KI. Aber Mathematik selbst hat Grenzen. Infolgedessen hat auch die KI Grenzen. Man muss also fragen, was die Mathematik nicht kann. Es gibt eine Komplexitätsstufe, die heißt Prädikatenlogik zweiter Ordnung, die kann die KI aus mathematischen Gründen nicht überschreiten. Wo haben wir eine solche Komplexitätsstufe? Zum Beispiel im Straßenverkehr. Also kann die KI niemals auf Dauer in Fahrzeugen voll autonom am Straßenverkehr teilnehmen. Die KI kann aus demselben Grund auch niemals autonom Recht sprechen und sie kann auch nicht alleine eine Behörde leiten. Vieles von dem, was in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, funktioniert schlichtweg nicht. Der Mensch wiederum unterliegt keinen mathematischen Gesetzen. Deshalb kann er Entscheidungen treffen, die mathematisch nicht machbar sind. Ein Grund liegt auch darin, dass es viele verschiedene Logiken gibt, die KI jedoch nur gut mit der Aussagenlogik und der Prädikatenlogik erster Stufe zurechtkommt. Das reicht aber nicht, denn selbst unser Bürgerliches Gesetzbuch - also der Rechtsrahmen in Deutschland - basiert auf der Prädikatenlogik zweiter Stufe.
Wie steht es mit der Anwendung von KI in Unternehmen?
In Unternehmen funktioniert die KI schon seit den 1980er Jahren. Ein Ingenieur, der sie einsetzt, weiß um die Kosten des Einsatzes und er weiß um die Kosten der Fehler, die man sich leisten oder nicht leisten kann. In Unternehmen arbeitet man mit verlässlichen Daten in einem geschützten Raum. Wenn man einer KI repräsentative Daten zur Verfügung stellt, kommen gute Ergebnisse heraus. Die Vorhersagen in der Produktion, in der Qualitätskontrolle, im Marketing, im Vertrieb, die stimmen fast immer. Deshalb sollten die Unternehmen KI auch so schnell wie möglich einsetzen. Ich würde den Einkäufern jedoch dringend raten, KI sorgfältig und wie eine ganz normale IT-Software einzukaufen, mit Garantien durch die Anbieter.
Was müssen Unternehmen beachten?
Die Unternehmen müssen ermitteln, wo der Einsatz von KI für sie wirklich Sinn macht und wo nicht. Sie müssen wissen, dass sie hinreichend viele Daten brauchen und dass diese Daten repräsentativ und reproduzierbar sein müssen. Viele Unternehmen machen das auf eigene Faust ohne wirkliche Expertise. Das ist der Hauptgrund dafür, dass über 50 Prozent aller KI-Projekte nicht funktionieren. Da wird viel Geld zum Fenster rausgeworfen, wenn man bedenkt, dass diese Projekte meist einen hohen sechs- oder gar siebenstelligen Betrag kosten. Besser wäre es, die Unternehmen holten sich für die ersten Schritte beratenden Sachverstand von außen. Danach sollten sie aber unbedingt eigene KI-Kompetenzen aufbauen. Denn KI ist eine Schlüsseltechnologie, die man beherrschen sollte. Wer das nicht kann, ist in zehn Jahren nicht mehr dabei.
Interview: Bärbel Brockmann
In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten. Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.
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