Künstliche Intelligenz

Experte - Kai Gondlach

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Fragen an Experte Kai Gondlach

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um das Thema Künstliche Intelligenz. Führungskräfte Deutschlands und Unternehmensnachfolger:innen führender deutscher Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie künstliche Intelligenz in ihrem Unternehmen bereits nutzen und was sich dadurch verändert.

Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.

In diesem Interview erläutert der Zukunftsforscher Kai Gondlach die Chancen und Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz. 

Das ist Kai Gondlach  

Kai Gondlach ist studierter Zukunftsforscher (M.A.), Autor und Keynote Speaker sowie Geschäftsführer des PROFORE Zukunftsinstituts. Mit seinen Vorträgen inspiriert er Menschen mit wissenschaftlich fundierten Impulsen für eine aktive Gestaltung ihrer Zukunft.

Generative KI ist spätestens seit dem Erscheinen von ChatGPT auf dem Vormarsch. Wie schätzen Sie diesen KI-Hype ein? 

Der mediale Hype um generative KI ist etwas abgeflacht, aber der wirtschaftliche Hype fängt in Deutschland gerade erst an. Die Firmen beginnen zu experimentieren, zu investieren, eigene Modelle zu entwickeln. Seit einem halben Jahr sehen wir einen deutlichen Anstieg von Projekten. Das Interesse ist definitiv da. Aber die Kompetenzen für den Umgang mit KI, individuelle, organisatorische, gesellschaftliche, die sind erst in Ansätzen vorhanden. Das Ganze steckt noch in den Kinderschuhen. Aber ich bin überzeugt: KI ist gekommen, um zu bleiben. Genauso wie vor 40 Jahren PCs in die Büros eingezogen sind, um zu bleiben, oder vor 80 Jahren der Taschenrechner.

 

Ist KI nachhaltig?

Ökologisch ist KI überhaupt nicht nachhaltig. In ihrer derzeitigen Form verschlingt sie Unmengen an Energie. Firmen wie Google planen schon eigene Atomkraftwerke. Die Energie wird in Mengen gebraucht, die sich ein normaler Mensch kaum vorstellen kann. Ist sie nachhaltig im sozialen Sinn? Da muss man vorsichtig sein. Jede generative KI ist natürlich darauf angewiesen, gut trainiert zu sein, und wird den Trainingsdatensatz und die dahinerstehenden Algorithmen immer wieder reproduzieren. Das ergibt eine deutliche Färbung und auch eine Verzerrung bestimmter Positionen. Wenn man die KI auffordert, ein neues Weihnachtsgedicht zu schreiben, wird sie dabei auf Vorbilder zurückgreifen und herauskommt dann eben ein Gedicht, das diesen Vorbildern sehr ähnelt. Wenn man eine Einschätzung oder eine Situationsbeurteilung von der KI erwartet, wird das immer eine Blendung haben. Das muss man berücksichtigen, vor allem, wenn man sie im Unternehmen in sensiblen Bereichen einsetzt. Etwa im Personalmanagement. Da kann eine Färbung leicht Existenzen gefährden.

 

Vernichtet KI Arbeitsplätze?

Sie wird viele Tätigkeiten ersetzen, die heute von Menschen gemacht werden. Angesichts des sich weiter vergrößernden Fachkräftemangels ist das auch gut. KI ist also ein Teil der Lösung dieses durch die Demographie ausgelösten Problems, dessen andere Seite ein riesiger Fortbildungs- und Umschulungsbedarf ist. Wir müssen KI künftig einsetzen, um bestimmte Sachen zu machen, weil die Menschen, die diese Sachen heute machen, in zehn Jahren in Rente gehen. Natürlich ist die Sache komplex und fordert viel Pragmatismus, auch von Betriebsräten und Gewerkschaften. Ich erlebe aber, dass die den Fragen, die sich durch KI ergeben, grundsätzlich offen gegenüberstehen. 

 

Viele Beschäftigte haben die Sorge, dass ihr Arbeitsplatz wegfällt, sie aber noch 20 Jahre oder länger arbeiten müssen. Wie baut man diese Sorgen ab?

Zunächst einmal muss man sie ernst nehmen. Die Ängste sind da und sie sind unterschiedlich ausgeprägt. Die durch KI ausgelösten Veränderungen der Arbeit betreffen auch nicht alle Ebenen gleichermaßen. Die obere Führungsebene noch am wenigsten, denn von dort gehen die Veränderungen ja meistens aus. Es gibt zum Glück immer mehr Veranstaltungen zum Thema KI, in denen diese Sorge auch thematisiert wird. Aber ich bin auch überzeugt, dass wegen des Arbeitskräftemangels jeder gebraucht wird. Wenn es nicht in der einen Firma ist, dann in einer anderen. Arbeitgeber sollten die Mitarbeitenden dabei unterstützen, einen neuen Job zu finden. Im Übrigen hat es Wandel immer gegeben. Was man heute als Arbeitnehmer mehr braucht als früher, ist Flexibilität.

 

Sollten Arbeitgeber nicht auch in Fortbildung investieren?

Ja, und sie sollten den Mitarbeitenden sagen, dass Fortbildung ihren Arbeitsplatz sichert. Aber die Menschen sollten sich auch selbst in Richtung KI fortbilden. Das muss gar nicht teuer sein. Es gibt kostenlose Kurse, die teilweise auch staatlich geprüft sind. Elements of AI von der University of Helsinki ist zum Beispiel sehr gut und umsonst. Es wird in vielen Sprachen online angeboten. Da gibt es zum Beispiel Grundkurse, in denen angewandte KI in einfachen Modellen und Konzepten vermittelt wird. So etwas müssten eigentlich alle machen. In Deutschland fordert das noch niemand. Es wird auch nicht politisch unterstützt. Ein heute 40-Jähriger könnte durch eine solche Weiterbildung in seinem mittelständischen Unternehmen sogar zum schlauesten KI-Mitarbeiter werden. Auch ein Gehaltssprung wäre dann möglich. Die Sorge, noch 20 Jahre vor sich zu haben und befürchten zu müssen, überflüssig zu sein, wäre damit obsolet. Jeder, der sich heute mit KI auskennt, auch nur mit angewandter KI, ist auf dem Arbeitsmarkt Gold wert.

 

Wo sehen Sie Gefahren durch KI, heute und vor allem in der Zukunft?

Die größte Gefahr sehe ich darin, dass durch KI Hassbotschaften und Fake-News in den sozialen Medien und Verbrechen im Darknet vereinfacht werden und damit weiter zunehmen. Wer künftig den Holocaust leugnen will, kann sich einfach einen ChatGPT-Bot anlegen, der jeden Tag automatisierte Botschaften auf X oder anderswo postet. Er ist quasi nicht identifizierbar. Unsere Polizei ist schon heute mit den Hass-Postings und dem Darknet völlig überfordert. Auf die Möglichkeiten, die sich durch KI ergeben, ist sie überhaupt nicht vorbereitet. Eine weitere Gefahr sehe ich darin, dass sich Unternehmen möglicherweise nicht hinreichend anpassen und dadurch große Geschäftsnachteile erleben. Ein Beispiel: Über sogenannte agentenbasierte KI-Systeme wird es künftig noch viel leichter sein, Waren im Internet zu bestellen. Wenn also jemand, der im B2C-Geschäft unterwegs ist, nicht die nötige Schnittstelle hat, wird er schnell den Anschluss verlieren.

 

Der zweiten Gefahr kann man doch recht leicht begegnen.

Ich sehe die Gefahr, dass vor allem viele Mittelständler zu spät reagieren werden. Sie schätzen die Geschwindigkeit nicht richtig ein, mit der heute Veränderungen kommen. Sie setzen zu lange auf das etablierte Geschäftsmodell und gewohnte Vertriebswege und scheuen die Risiken und Investitionen, die mit einer Veränderung verbunden sind. Sie verstehen oft nicht, dass es besser ist, einem Hype nicht hinterherzurennen, sondern ihn mitzugestalten. Vor 25 Jahren konnte sich kein Buchhändler vorstellen, dass jemand ein Buch oder Kleidung online kauft. Sie wurden alle eines Besseren belehrt. Sie hätten mit einem klugen Konzept reagieren müssen. Aber es fehlte einfach die richtige Grundhaltung gegenüber Veränderungen. Auch heute ist die Risikobereitschaft vieler Unternehmen viel zu gering.

 

Können wir in Deutschland und Europa überhaupt mit der Geschwindigkeit aus den USA und China mithalten?

Nein, in bestimmten Bereichen ist der Zug bereits abgefahren. Das merken wir schon an den Unternehmensbewertungen. Was wir jedoch besser machen könnten, ist die Übersetzung in sichere und nachhaltige - im dreifachen Wortsinn, also wirtschaftlich, sozial und ökologisch - Lösungen mit beziehungsweise durch KI. Künstliche Intelligenz wird an deutschen Forschungsinstituten und an den Universitäten in diesem Zusammenhang einen Unterschied machen, macht es schon heute. Wichtig ist, dass sich Verantwortliche in Unternehmen enger mit der Forschung verzahnen, um diesen Innovationsvorsprung gewinnbringend in die Wirtschaft und Gesellschaft zu bringen.

 

Interview: Bärbel Brockmann

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten. Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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