
Künstliche Intelligenz

Foto: Bürkert
Im Gespräch mit Dr. Anne März, Head of Digital Tool Chain and Verification/Validation
In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um das Thema Künstliche Intelligenz. Führungskräfte Deutschlands und Unternehmensnachfolger:innen führender deutscher Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie sie künstliche Intelligenz in ihrem Unternehmen bereits nutzen und was sich dadurch verändert.
Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.
In diesem Interview spricht Dr. Anne März mit uns darüber, wie KI-Anwendungen akzeptiert werden, wenn Sie tatsächlichen Mehrwert bringen.
Seit wann beschäftigt sich Bürkert mit KI?
Wir beschäftigen uns bereits seit mehr als zehn Jahren mit KI, in den letzten fünf Jahren jedoch intensiver. Wir schauen uns dabei an, ob und wo es auf Produktebene und im Produktionsumfeld vielversprechende Ansätze gibt. Dort entwickeln wir dann konkrete Anwendungen. In einem unserer neuen Standardprodukte wird beispielsweise die Position eines Ventils mithilfe einer KI in Form von maschinellem Lernen ermittelt. Anhand einer speziellen Auswertungstechnik wissen wir exakt, wie weit dieses Ventil geöffnet ist. Im Bereich der generativen KI befassen wir uns mit Tools, die uns im Unternehmen helfen können, die tägliche Arbeit effizienter zu gestalten.

Gibt es bei Ihren Kunden Vorbehalte gegenüber KI-Anwendungen?
Ja, die gibt es auf jeden Fall. Daten werden ohnehin ungern freigegeben. Bei KI kommt hinzu, dass viele Kunden eine große Unsicherheit verspüren, da sie nicht einschätzen können, was mit den Daten eigentlich passiert. Gerade im Kontext der generativen KI wird häufig die Sorge geäußert, dass die Kontrolle über die eigenen Daten nicht mehr gewährleistet ist. Neben den Vorbehalten bei der Datenbereitstellung gibt es aber auch Sorgen um die Prozesssicherheit. Vielfach fehlt das Vertrauen, dass das Neue nachhaltig und verlässlich in den Prozessen funktioniert.
Tatsächlich macht die KI auch Fehler. Sie halluziniert ja zuweilen. Wie können Sie Kunden dennoch von den Vorteilen überzeugen?
Im industriellen Umfeld, in dem wir unterwegs sind, müssen wir auch bei der Verwendung von KI-Ansätzen in Produkten stehts die Prozesssicherheit der Gesamtfunktion, die wir unseren Kunden anbieten, gewährleisten. Und wie jede andere Technologie muss der Einsatz von KI einen Mehrwert für den Kunden erzeugen, das heißt sie muss zum Beispiel Kosten und Zeit sparen. Ist dieser Mehrwert für den Kunden gegenüber Lösungen ohne KI nicht ersichtlich, wird er diese auch nicht einsetzen.
Warum begegnen viele Menschen der neuen Stufe der KI mit Sorge?
Mittlerweile ist durch die KI auch eine sehr gute Bildverarbeitung möglich. Die Grundlage dafür hat der Brite Geoffrey Hinton 2010 gelegt und dafür voriges Jahr den Nobelpreis für Physik bekommen. Seit 2022 haben wir dank Open AI auch eine nahezu universelle Sprachverarbeitung. Die Menschen haben nun Sorge, dass sich diese Sprachmaschinen in Kombination mit der Bildverarbeitung in ihr Kommunikationsverhalten einmischen könnten. Es sind sozusagen soziotechnische Maschinen entstanden. Man weiß nicht mehr, ob man im Netz mit einem Menschen oder einer Maschine kommuniziert. Und viele fragen sich jetzt: Wenn das System so gut reden kann, kann es auch so gut denken? Aber das kann es definitiv nicht. Es steht eben noch nicht einmal auf der Stufe der Kognition. Das schafft die KI in den nächsten 50 Jahren auch nicht. In meinem neuestem Buch “Künstliche Intelligenz - Illusion und Wirklichkeit. Warum vollautonomes Fahren weltweit niemals Wirklichkeit wird und uns zu Hause auch kein Roboter einen Kaffee holt" will ich die KI entmystifizieren und den Menschen die Sorgen nehmen.
Wie lange wird es dauern, bis es zu einer größeren Akzeptanz und damit auch zu einer größeren Verbreitung von KI-Anwendungen im industriellen Bereich kommt?
KI-Anwendungen im industriellen Einsatz werden akzeptiert, wenn tatsächlich konkrete Mehrwerte erzeugt werden. Zunächst werden sich Anwendungen etablieren, die aktuelle Tätigkeiten unterstützen und die Effizienz steigern, zum Beispiel bei Wartungsarbeiten für das Finden und Dokumentieren von Informationen. Ebenso bei Tätigkeiten, die kein beziehungsweise ein geringes Risiko darstellen, da sie nicht in Prozesse eingreifen und Daten nach Außen geben. Trotzdem sollte auch bei diesen Anwendungen der Mensch als prüfende Instanz aktuell nie komplett wegfallen.
Dass KI-Anwendungen in einem laufenden Produktionsprozess wirken und eingreifen, und gleichzeitig breit akzeptiert werden, wird noch etwas auf sich warten lassen. Denn bei diesen Anwendungen ist die Nutzung tatsächlich noch mit einem größeren Risiko verbunden. Die Kunden kennen ihre Prozesse, die aktuell eingesetzten Technologien und den Umgang in verschiedensten Situationen damit. Mit KI haben sie jedoch noch wenig Erfahrung. Ihre Skepsis ist daher im Grunde auch sehr vernünftig. Ich halte es insgesamt für wichtig, dass man sich mit KI beschäftigt. Ich glaube, sie bringt viele Chancen – aber nur dann, wenn man sie mit dem notwendigen Respekt zur Technologie und zu den Menschen einsetzt, die die Umgebung ausmachen.
Inwieweit wird ein regulatorischer Rahmen gebraucht?
Den braucht es auf jeden Fall und auf allen Ebenen im Unternehmen. Wir haben für unser Unternehmen KI-Guidelines aufgesetzt. Es dürfen zum Beispiel keine unternehmensrelevanten oder kritischen Daten in bestimmten Tools verwendet werden, wenn nicht zu hundert Prozent bekannt ist, was damit passiert. Außerdem ist zwischen lizenzierten und öffentlich zugänglichen KI-Tools zu unterscheiden. Sobald wir weniger Einfluss auf unsere Daten und ihren Verbleib haben, müssen feste Regeln sicherstellen, dass es keinen Datenmissbrauch geben kann.
Welche Fähigkeiten müssen Mitarbeitende in Zukunft mitbringen?
Künftig werden Mitarbeitende mit anderen Kompetenzen benötigt. Auf der einen Seite benötigt man ausgebildete Mitarbeitende in verschiedenen IT-Bereichen: Da sind beispielsweise KI-Fachleute, also echte Data-Science-Experten und gleichzeitig auch IT-Spezialisten, die in der Lage sind, Tools aufzusetzen, zu warten und zu pflegen. Auf der anderen Seite brauchen wir Mitarbeitende, die Daten anders wahrnehmen und ein Verständnis dafür haben, wie sie sinnvoll verknüpft werden können. Anwender hingegen müssen nicht unbedingt wissen, welche Algorithmen wie aufgebaut sind, aber sie müssen lernen, die Tools sinnvoll und sicher zu nutzen. Glücklicherweise bringen viele junge Mitarbeitende schon einiges an Expertise aus den Universitäten und Hochschulen mit. Daher ist eine gewisse Offenheit im Unternehmen unabdinglich: Zum einen muss berücksichtigt werden, dass nicht alle gleichermaßen von der neuen Technologie begeistert sind und es durchaus auch kritische Stimmen braucht. Zum anderen muss aber auch klar sein, dass junge Menschen mit einer ganz anderen Expertise als noch vor einigen Jahren ins Unternehmen kommen.
Interview: Bärbel Brockmann
In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten. Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.
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