
Transformation

Foto: Big Dutchmann
Im Gespräch mit Dr. Frank Hiller, Vorsitzender des Vorstands
In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um das Thema Transformation. Führungskräfte Deutschlands und Unternehmensnachfolger:innen führender deutscher Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie Digitalisierung, neue Technologien und viele weitere Veränderungen ihr Unternehmen prägen und verändern.
Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.
In diesem Interview spricht Dr. Frank Hiller mit uns darüber, wie die Transformationsprozess in verschiedenen Geschäftsbereichen ablaufen.
Die Landwirtschaft soll nachhaltiger werden. Was bedeutet die „Agrarwende“ für die Branche und Big Dutchman?
Die Entwicklung der Landwirtschaft in den letzten 100 Jahren steht der industriellen Revolution in nichts nach. Sie hat vor allem zu einer erheblichen Effizienzsteigerung geführt. Heute brauchen Sie zum Beispiel deutlich weniger Personal für die gleiche Arbeit. Derzeit findet eine neue Revolution statt: die Ökologisierung. Agrarprodukte werden dadurch umweltverträglicher und nachhaltiger. Für uns als Anbieter von Stalltechnik steht hier einerseits das Tierwohl im Vordergrund - wir sehen uns als Vorreiter in Sachen Tierwohl und Tiergesundheit. Auf der anderen Seite tragen wir dazu bei, dass die steigende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten angesichts der wachsenden Weltbevölkerung nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch vernünftig erfolgt. Das ist unsere Aufgabe, weil wir in mehr als 150 Ländern vertreten sind und 95 % unseres Umsatzes im Ausland machen. Wir werden künftig noch stärker global agieren, um mit unseren Produkten die Versorgung der Weltbevölkerung mit wertvollen Proteinen sicherzustellen.
Welche Transformationen finden derzeit in Ihrem Unternehmen statt?
Wir bauen gerade drei neue Geschäftsfelder auf, von denen jedes auf seine Art die Ökologisierung vorantreibt. Noch sind sie klein, aber sie haben enormes Zukunftspotenzial. Das eine ist die Insektenzucht. Diese tierischen Proteine werden an Nutztiere verfüttert. Die Larven der Soldatenfliege dienen so als Ersatz für Soja oder Fischmehl. Das hilft, der Abholzung von Wäldern für den Sojaanbau und der Überfischung der Meere entgegenzutreten. Wir haben gerade in Dänemark für die größte Insektenfarm Europas große Teile der Technik geliefert. Wenn diese Anlage richtig läuft, werden dort pro Tag 100 Tonnen Insektenlarven produziert. Solche Lösungen sind nicht nur nachhaltig, sie bieten Landwirten auch eine zusätzliche, zukunftsfähige Einnahmequelle. Der zweite neue Bereich sind Gewächshäuser. Fleischkonsum wird es zwar immer geben. Aber natürliche pflanzliche Proteine werden wichtiger. Wir haben uns deshalb an der niederländischen Firma Ammerlaan beteiligt, die industrielle Gewächshäuser herstellt. Solche Anlagen brauchen nahezu die gleiche Technik wie Stallungen. Unsere Lösungen etwa für Klimatisierung oder Wasserversorgung sind also vielfältig einsetzbar.
Gründerin und Inhaberin der unabhängigen Beratung Mi[de] - Mittelstand denken.
Foto: Privat
Mit welchen Strategien sollten Unternehmen auf Disruption antworten?
Eine bewährte Vorgehensweise ist die Bildung von speziellen Strategieteams, die den Wandel aktiv gestalten. Diese Strategieteams sollten aus Mitarbeitern verschiedener Hierarchiestufen und Abteilungen bestehen. Dies stellt sicher, dass unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen einfließen und eine ganzheitliche Betrachtung der neuen Herausforderungen ermöglicht wird. Und schließlich hilft dies auch später bei der Umsetzung. Es ist ideal, wenn die Mitglieder dieser Teams vorübergehend aus dem operativen Geschäft herausgenommen werden. Dies ermöglicht ihnen, sich voll und ganz auf die strategischen Aufgaben zu konzentrieren, ohne durch tägliche Routinen abgelenkt zu werden. Eine Doppelbelastung durch operative und strategische Aufgaben kann die Kreativität und Effektivität der Teammitglieder erheblich einschränken. Ferner müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass Veränderungsprozesse oft an den bestehenden Strukturen und Denkweisen scheitern. Selbst wenn innovative Ideen entwickelt werden, besteht die Gefahr, dass sie im Alltag durch traditionelles Denken wieder unterdrückt werden. Um dies zu verhindern, sollten Strategieteams die Freiheit haben, neue Ansätze zu erproben und durchzusetzen, ohne ständig in alte Muster zurückzufallen.
Und das dritte Geschäftsfeld?
Das dritte neue Geschäftsfeld sind Fotovoltaikanlagen und Batterielösungen. Stallungen haben große Dachflächen und sind daher ideal für solche Anlagen geeignet. Vor allem in Ländern mit unzuverlässiger Stromversorgung ist es ein großer Vorteil, autark zu sein. Innovationen sind seit der Gründung 1938 Teil der DNA unseres Unternehmens. Deshalb haben wir schon immer Neues ausprobiert.

Welche Rolle spielt die zunehmende Digitalisierung in dieser Geschäftsentwicklung?
Mit Stallungen verbinden viele vor allem Hardware, also Gebäude, Geräte und Stall-Equipment. All das brauchen wir natürlich immer noch. Aber heute spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Inzwischen auch Künstliche Intelligenz. Selbst kleinere landwirtschaftliche Betriebe steuern und überwachen ihre Stallungen heute digital und dezentral. Bei Hühnerherden, zum Beispiel, kann man auf das Wohlbefinden rückschließen, indem man per KI-Kameras ihr Bewegungsverhalten analysiert.
Um dann gegebenenfalls durch eine Veränderung der Beleuchtung oder Belüftung, salopp formuliert, die Stimmung im Stall zu verbessern. Die Folge für uns: Viele Mitarbeitende kommen heute gar nicht mehr aus dem Agrarbereich. Sondern aus der Automobilindustrie, von der Lufthansa, aus ganz unterschiedlichen Industrien. Ihre digitalen Kompetenzen brauchen wir nicht nur für unsere Kunden, sondern auch für unsere eigenen Prozesse. Etwa für die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten. Denn die meisten Produkte entwickeln wir zwar, lassen sie aber von Partnern produzieren.
Brauchen Sie heute andere Skills? Brauchen Sie mehr Ingenieur:innen?
Durch die Digitalisierung steigt natürlich unser Bedarf an digitalem Know-how. Wir haben heute hunderte Ingenieure und Software-Entwickler im Unternehmen. Und wir benötigen dringend noch mehr. Nicht nur an unserem Hauptstandort in Vechta, sondern auch in unseren regionalen Zentralen in Nord- und Südamerika, in Malaysia, in China. Diese Standorte verfügen jeweils über sehr gute Entwicklungs- und Konstruktionsabteilungen. Wir sind daher zwar ein bodenständiges, niedersächsisches Unternehmen, bieten aber Mitarbeitenden ein innovatives, internationales Umfeld. Unser neuer China-Chef ist zum Beispiel ein 33-jähriger Kollege, der auf dem Dorf bei Vechta aufgewachsen ist. Und jetzt in Peking lebt. So etwas gibt’s in der Branche eher selten.
Interview: Bärbel Brockmann
In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten. Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.
© 2024 Der Entrepreneurs Club. Alle Rechte vorbehalten. Texte: nicht kommerzielle, auszugsweise Nutzung unter Quellenangabe https://www.karriere-familienunternehmen.de gestattet. Fotos: © 2024 Der Entrepreneurs Club / Big Dutchmann