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Fragen an Expertin Maren Lorth
In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um das Thema Transformation, Führungskräfte Deutschlands und Unternehmensnachfolger führender deutscher Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie
Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.
In diesem Interview erklärt Gründerin Maren Lorth, die Herausforderungen und Strategien, mit denen Unternehmen auf disruptive Veränderungen reagieren müssen.
Das ist Maren Lorth
Maren Lorth ist Gründerin und Inhaberin der unabhängigen Beratung Mi[de] - Mittelstand denken. Ihre Schwerpunkte liegen in der Beratung von Strategie-, Finanzierungs- und Kapitalmarktthemen bei Unternehmen mit einem Umsatz größer als 50 Mio.€.
Welche Rolle spielt die Disruption bei der Transformation von Unternehmen?
Jeder kennt das Beispiel Nokia. Dem einstigen Weltmarktführer für Handys war damals entgangen, dass die neuen Smart Phones von Apple sein Geschäftsmodell in Frage stellen. Nokia reagierte zu spät und ging unter. Disruption kommt heute ständig vor und Unternehmen müssen sich darauf einstellen. Wenn ich mittelständische Unternehmen berate, schaue ich mir auch immer den Start-up-Markt an. Dort kann man Trends erkennen, die für Geschäftsmodelle gefährlich werden könnten. Ich empfehle dann zu überlegen, ob und wie man dem als Unternehmen etwas entgegensetzt. Entweder durch Kooperation mit einem Start-up oder durch eine interne Entwicklung. Viele KMU denken noch, das Erfolgsmodell, das sie einmal entwickelt haben, bestehe auf immer fort. Das ist heute nicht mehr so. Ich empfehle Unternehmen, ständig in Alarmbereitschaft zu sein und zu sehen, wie sich Kundenbedürfnisse verändern und/oder der Markt. Lange hat man nur auf die bereits bekannten Wettbewerber geschaut. Disruption kommt heute aber häufig aus ganz anderen Branchen.
Aber viele Unternehmen passen sich schon an oder?
Allerdings. Die Corona-Pandemie hat hier eine Dynamik freigesetzt. Dadurch ist eine ganz andere Offenheit für Disruptionsüberlegungen entstanden. Man hat auf einmal gesehen, dass es kurzfristig externe Rahmenbedingungen geben kann, auf die man in einer Art und Weise reagieren muss, die man sich vorher nicht vorstellen konnte.
Gibt es Branchen die von Disruption stärker betroffen sind als andere?
Ich glaube, dass einige Branchen denken, sie seien noch verschont. Dort denkt man, Digitalisierung oder auch künstliche Intelligenz, die betreffen sie nicht. Das stimmt aber nicht. Alle müssen sich Gedanken machen und ihre Unternehmen anpassen. Dennoch ist es sicherlich so, dass einige Branchen heute mehr im Fokus stehen, andere kommen vielleicht etwas später. Besonders sichtbar ist Transformation derzeit in der Automobilindustrie. Sie steckt mitten in der Transformation hin zu Elektrofahrzeugen oder anderen Antriebstechnologien. Diese Disruption wurde von Tesla angestoßen und hat zu einer massiven Marktveränderung geführt. Hinzu kommt, dass die deutschen Autobauer die chinesische Konkurrenz lange nicht erst genommen haben. Jetzt sind auf einmal Chinesen technologisch besser.
Mit welchen Strategien sollten Unternehmen auf Disruption antworten?
Eine bewährte Vorgehensweise ist die Bildung von speziellen Strategieteams, die den Wandel aktiv gestalten. Diese Strategieteams sollten aus Mitarbeitern verschiedener Hierarchiestufen und Abteilungen bestehen. Dies stellt sicher, dass unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen einfließen und eine ganzheitliche Betrachtung der neuen Herausforderungen ermöglicht wird. Und schließlich hilft dies auch später bei der Umsetzung. Es ist ideal, wenn die Mitglieder dieser Teams vorübergehend aus dem operativen Geschäft herausgenommen werden. Dies ermöglicht ihnen, sich voll und ganz auf die strategischen Aufgaben zu konzentrieren, ohne durch tägliche Routinen abgelenkt zu werden. Eine Doppelbelastung durch operative und strategische Aufgaben kann die Kreativität und Effektivität der Teammitglieder erheblich einschränken. Ferner müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass Veränderungsprozesse oft an den bestehenden Strukturen und Denkweisen scheitern. Selbst wenn innovative Ideen entwickelt werden, besteht die Gefahr, dass sie im Alltag durch traditionelles Denken wieder unterdrückt werden. Um dies zu verhindern, sollten Strategieteams die Freiheit haben, neue Ansätze zu erproben und durchzusetzen, ohne ständig in alte Muster zurückzufallen.
Kann man sagen, je größer das Unternehmen ist, desto größer sind die Beharrungskräfte?
In der Regel stimmt das. Aber noch mehr als von der Größe hängt es wirklich von der Unternehmenskultur ab. Dieser Punkt wird oft vernachlässigt. Man geht davon aus, dass alle Unternehmen Veränderungen gleich gut umsetzen können. Das ist aber nicht so. Deshalb empfehle ich immer, sich erst einmal die Unternehmenskultur anzusehen. Man muss feststellen, wo man steht, wie die Unternehmenskultur aktuell ist und welche Unternehmenskultur man braucht, um eine Transformation erfolgreich durchzuführen. Nach einer Change-Fitness-Studie 2020/2021 konnten in den letzten 10 Jahren nur durchschnittlich 22 % aller Veränderungsprojekte erfolgreich abgeschlossen werden.
Haben kleine und mittelgroße Unternehmen bei Transformationen Vorteile gegenüber Konzernen?
Das ist oft wie der Unterschied zwischen einem Schnellboot und einem Kreuzfahrtschiff. Wenn auf dem Schnellboot entschieden wird, die Richtung um 180 Grad zu ändern, geschieht das in wenigen Sekunden. Wenn das Kreuzfahrtschiff den Kurs um 180 Grad ändern will, braucht es dazu erheblich länger. Und genauso ist es auch in den Unternehmen. In kleineren Unternehmen gibt es einen Geschäftsführer, manchmal auch zwei. Man ist dort nah an den Führungskräften und Mitarbeitern. Man kann also eine sehr schnelle Willensbildung erreichen, sehr schnell kommunizieren und auch die Umsetzung eng begleiten. In einem großen Konzern sind die Abläufe komplexer und daher die Entscheidungsprozesse oft länger. Wenn große Unternehmen dann noch an der Börse notieren, stehen sie zusätzlich noch unter einer größeren Beobachtung von außen. Das macht den Vorstand mitunter sehr vorsichtig und verzögert dadurch notwendige Entscheidungen über Veränderungen. Kleinere Unternehmen, gerade auch Familienunternehmen, zeigen meiner Erfahrung nach vielfach mehr gesunden Risikoappetit.
Interview: Bärbel Brockmann
In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten. Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.
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