Unternehmenskultur und Nachfolge

ZIEHL-ABEGG - Dr. Marc Wucherer

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Im Gespräch mit Dr. Marc Wucherer, Vorstandvorsitzender bei ZIEHL-ABEGG

In den kommenden Wochen dreht sich bei uns alles um das Thema Unternehmenskultur und Nachfolge. Führungskräfte Deutschlands und Unternehmensnachfolger führender deutscher Familienunternehmen verraten uns exklusiv, wie die Kultur ihr Geschäft beeinflusst und wie sie von verschiedene Unternehmergenerationen unterschiedlich geprägt wurde.

Doch auch unabhängige Expert:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft kommen bei uns zu Wort.

In diesem Interview spricht Dr. Marc Wucherer mit uns darüber, wie die Übergabe an die nächste Generation eingeleitet werden kann, wobei das Erleben“ des Unternehmens eine wichtige Rolle spielt.

Herr Dr. Wucherer, wie würden Sie die Vision und die Werte Ihres Unternehmens beschreiben?

Ganz klar: ZIEHL-ABEGG wird in den kommenden Jahren digitaler und nachhaltiger aufgestellt; und gleichzeitig wird das Unternehmen nachhaltig wachsen.

Natürlich wurden diese Ziele schon in den zurückliegenden Jahren immer wieder formuliert. Doch an vielen Stellen fehlten Konzepte zur Umsetzung. Beispiel Nachhaltigkeit: Wir reduzieren seit Jahren den Energieeinsatz alleine aus Kostengründen, doch jetzt betten wir dies in eine Nachhaltigkeitsstrategie ein, die konkrete Maßnahmen vorsieht.

Auch die Unternehmenskultur wird sich ändern: alle Mitarbeitenden werden aktiv in die neue Strategie eingebunden, denn sie stehen als Menschen und Akteure im Mittelpunkt. Dazu haben wir Ende des Jahres 2023 seit langer Zeit wieder eine Mitarbeiterbefragung vornehmen lassen. 

 

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Stefan Scheller

HR-Influencer und Gründer von PERSOBLOGGER.DE

Foto: Privat

Welche Elemente sind für eine gesunde Unternehmenskultur unverzichtbar? 

„Eine gesunde Unternehmenskultur schafft ein Arbeitsklima, bei dem Mitarbeitende gesund, motiviert und produktiv arbeiten können und dabei persönlich sowie fachlich gefördert werden. Dazu benötigt es aus meiner Sicht eine Reihe von Faktoren, wie z.B.:

Klare Werte und Mission: Eine gesunde Unternehmenskultur basiert auf klaren Werten und einer definierten Mission, die von allen Mitarbeitenden verstanden, geteilt und gelebt werden kann.

Offene Kommunikation: Eine Kultur, die offene Kommunikation fördert, schafft ein Umfeld, in dem Ideen ausgetauscht werden können, Probleme angesprochen und Lösungen gefunden werden können. 

Vertrauen und Respekt: Vertrauen und Respekt sind grundlegend für eine gesunde Unternehmenskultur. Mitarbeitende müssen sich sicher fühlen, ihre Meinungen zu äußern, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Diese „psychologische Sicherheit“ ist essenziell.

Anerkennung und Wertschätzung: Die Anerkennung von Leistungen und die Wertschätzung der Mitarbeitenden sind wichtige Elemente einer gesunden Unternehmenskultur. Dies motiviert Mitarbeitende, ihr Bestes zu geben und trägt zur Mitarbeiterbindung bei. Das Performancemanagement sollte daher darauf aufbauen.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit durch kontinuierliche Entwicklung und Weiterbildung: Nicht nur Trends wie die demografische oder technologische Entwicklung (Stichwort generative künstliche Intelligenz) fordern eine ständige Anpassung und Weiterentwicklung der Mitarbeitenden. Eine gesunde Unternehmenskultur basiert dabei auf ständigem Wachstum mittels Lernen.

Diversität und Inklusion sowie Ethik und Integrität: Eine gesunde Unternehmenskultur legt Wert auf ethisch korrektes Verhalten und Integrität in allen Geschäftspraktiken und fördert ein Umfeld, in dem Mitarbeitende moralisch richtige Entscheidungen treffen können. Es besteht der notwendige Raum für Vielfalt sowie der Anspruch inklusiv zu arbeiten.“

 

Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur beim Erreichen dieser Geschäftsziele?

Die Menschen im Unternehmen müssen Spaß bei der Arbeit haben. Eine Gewinnerkultur kann nur entstehen, wenn wir positiv gestimmt sind. Auch Kunden merken, wenn deren Ansprechpartner schlecht gelaunt oder bedrückt sind. 

Momentan ist die Stimmung in Deutschland furchtbar angespannt, das Land wähnt sich am wirtschaftlichen Abgrund. Genau das wollen wir eben nicht: wir stemmen uns mit aller Macht dagegen. Und dass dies nur mit einem motivierten Team erfolgreich ist, spiegeln unsere Zahlen eindrucksvoll wider. 

 

Welche Kanäle werden genutzt, um Informationen auszutauschen und zusammenzuarbeiten?

Für mich ist der persönliche Austausch wichtig. Dennoch unterstützen wir großzügig das Thema Homeoffice – denn das schafft Zufriedenheit bei den Beschäftigten. Als Führungskraft sollte man seine Mitarbeiter nicht ständig kontrollieren wollen und sich einbilden, man wisse alles besser. Das ist eine furchtbar veraltete Führungsmethode. Wer daran festhält, kann auch kein Homeoffice erlauben. Wichtig ist, dass jeder seine Ziele kennt und daran arbeitet. Dann ist es mir am Ende des Tages egal, wo er das macht. Als Kanäle nutzen wir MS Teams, wir organisieren uns in Town Hall-Meetings mit 250 Mitarbeitern und machen Livestreams. 

 

Wie handhabt das Unternehmen Feedback?

Feedbackkultur geht bei uns mit einer gesunden Fehlerkultur Hand in Hand. Ich ermuntere die Menschen seit jeher, verantwortungsbewusst aber entscheidungsfreudig zu agieren. 

 

Wie würden Sie, über die gesunde Fehlerkultur hinaus, den Führungsstil des Unternehmens beschreiben?

Das Unternehmen ist die vergangenen Jahre sehr gut gewachsen; das fordert die Organisation extrem. Jetzt passen wir die Struktur der neuen Größe und dem kommenden Wachstum an. Vieles ist gut, wie eine Mitarbeiterbefragung gezeigt hat – aber an einigen Stellen müssen wir spürbar nachjustieren.  

Wir haben hervorragend ausgebildete Mitarbeitende, die frei gestalten wollen. Andersherum muss bei Vorgesetzten jederzeit die Tür offenstehen und bei Bedarf Hilfe angeboten werden. Gerade der jungen Generation muss man zeigen: Wir bieten euch ein Umfeld, wo ihr euch entfalten könnt, wo ihr wachsen könnt, falls ihr das wollt. 

 

Welche Förderprogramme hat ZIEHL-ABEGG, um seine Mitarbeiter:innen weiterzubilden?

Für unsere Top-Talente haben wir unser sogenanntes „Grow“-Programm. Hier fördern wir u.a. diejenigen, welche ihre Skills als Führungskraft verbessern wollen; gerne verbunden mit einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt.

Dazu gibt es natürlich auch ein Programm für die Fachleute. Ein Techniker, der mit Herz und Verstand seine Arbeit liebt, möchte vielleicht gar keine Menschen führen, sondern stattdessen fachlich tiefer einsteigen können. Deshalb haben wir eine Expertenlaufbahn installiert.

 

Macht es das nicht schwieriger gerade junge Menschen für eine Führungsposition zu begeistern?

Es ist eine Herausforderung, junge Menschen für eine Führungslaufbahn zu begeistern und Verantwortung für andere zu übernehmen. Noch gelingt uns dies ganz gut.

 

Wie fördern Sie bei ZIEHL-ABEGG Diversität im Unternehmen?

Diversität ist mir äußert wichtig. Ich glaube, da haben wir noch Nachholbedarf. Für mich bedeutet Diversität nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Internationalität. Bei uns arbeiten Menschen aus mehr als fünfzig Nationen. Egal ob in der Fertigung, als Lagerist, Assistentin oder Ingenieur – hier sind wir divers aufgestellt. Das muss jetzt über alle Hierarchiestufen ausgerollt werden.

Wir fördern auch den Austausch innerhalb der Firmengruppe und schicken nicht nur Deutsche ins Ausland, sondern holen im Gegenzug auch Menschen aus der ganzen Welt nach Künzelsau. Um das Zusammenarbeiten zu intensivieren, müssen wir zudem in allen Bereichen stärker auf die Sprache Englisch als gemeinsame Basis setzen. 

 

Apropos verschiedene Generationen: Können Sie uns einen Überblick geben, wie die verschiedenen Inhabergenerationen das Unternehmen geprägt haben?

Wir hatten vor drei Jahren einen Generationswechsel, von der dritten zur vierten Generation. Dieser ist ohne jegliche Probleme abgelaufen. Die vierte Generation ist seit Jahren in den Aufsichtsrat hineingewachsen. Das hat die Familie gut hingekriegt.

 

Also ging mit dem Nachfolgeprozess kein großer Kulturwandel einher, sondern Kontinuität war das Ziel?

Die Organisation muss global angepasst werden: Strukturen geschaffen, Werte definiert und der Spirit gelebt werden. Das ist der vierten Generation sehr wichtig. Daher wurde ich als Steuermann an Bord geholt. Denn ich habe zehn Jahre in China gelebt, zudem auch in Brasilien und in den USA gearbeitet. Weil die Performance des Unternehmens schon sehr gut ist, können wir Änderungen organisch implementieren und durchaus behutsam agieren.

 

Welche wichtigen Lektionen haben Sie aus dem Nachfolgeprozess bereits mitnehmen können? Beziehungsweise: was würden Sie anderen Unternehmen raten, die sich gerade auf ihren eigenen Nachfolgeprozess vorbereiten?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, die nächste Generation früh an das Unternehmen und die Führungsaufgaben heranzuführen. Man muss ein Unternehmen „erleben“ und die Verantwortung als Gesellschafter „spüren“. Wenn man nur von außen draufschaut, kann man die Komplexität der Unternehmenszusammensetzung nur schwer einschätzen.

 

Interview: Maximilian Kaiser

In dieser Reihe haben wir die selbstgewählten Personenbezeichnungen der Interviewpartner beibehalten.  Dadurch entstehen Unterschiede in der Genderschreibweise.

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